Survivor trifft Nobelpreisträger
Warum eine HPV-Impfung Krebsvorsorge bedeutet.
Im Jahr 2008 erhielt Professor Harald zur Hausen den Nobelpreis für Medizin verliehen. Beim Gespräch im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg trifft der bekannte Wissenschaftler auf Heike Weinberg, die an Gebärmutterhalskrebs erkrankt ist, sowie auf Professor Jürgen F. Riemann, den Vorsitzenden des Kuratoriums der Deutschen Krebsstiftung (DKS). Das Interview ist eine Aufzeichnung vom Januar 2020.
Die Initiative CancerSurvivor unterstützt mit diesem Interview eine Kampagne der Deutschen Krebsstiftung zur HPV-Impfung. Bereits bei unserem Gespräch im Roten Sessel mit Sabrina Scherbarth war klargeworden, wie wichtig eine höhere HPV-Impfrate ist und wie viele Leben dadurch gerettet werden können.
Die Deutsche Krebsstiftung möchte erreichen, dass das Angebot der HPV-Impfung besser genutzt wird und setzt sich für eine intensivere und objektive Aufklärung ein. Hierfür wurde u.a. eine Allianz gegen HPV ins Leben gerufen, bei der z.B. die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung, das Robert Koch-Institut, der Öffentliche Gesundheitsdienst und weitere ärztliche Fachorganisationen mitwirken.
In Deutschland erkranken jährlich knapp 4.600 Frauen an Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom) und ca. 1.600 versterben daran. Als Hauptursache gilt eine meist sexuell übertragene Infektion mit Humanen Papillomviren (HPV), die auch bei Männern beispielsweise Mund-/Rachenkrebs oder Analkrebs auslösen kann. Darüber hinaus müssen jährlich mehr als 90 000 Frauen operiert werden, um Krebsvorstufen zu entfernen.
Es ist der langjährigen Forschung des Nobelpreisträgers Professor Harald zur Hausen zu verdanken, dass eine wirksame Schutzimpfung gegen eine HPV-Infektion zur Verfügung steht. Die Impfung wurde in einigen Ländern schon längere Zeit erfolgreich erprobt. In Deutschland wird sie für Mädchen und seit 2018 auch für Jungen im Alter zwischen 9 und 14 Jahren empfohlen. Erfahren Sie mehr im Interview und bilden Sie sich Ihre Meinung!
Quelle: Deutsche Krebsstiftung
Das Interview zum Nachlesen:
Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg ist eines der renommiertesten Forschungseinrichtungen weltweit. 3.000 Mitarbeiter arbeiten auf dem Heidelberger Campus daran, Krebserkrankungen besser zu verstehen und die Ergebnisse für Patienten nutzbar zu machen. Mit Hightech wird hier nicht nur an Krebsstammzellen geforscht. Die STED-Mikroskopie erlaubt den Blick auf lebende Zellen, um Wirkmechanismen bei Krebs besser zu verstehen. Beim Krebsinformationsdienst beantworten die Fachleute 30.000 Ratsuchende pro Jahr. Die Genomforschung am DKFZ zielt darauf ab, Krebszellen genaue zu verstehen, um Patienten angepasste Therapien zur Verfügung zu stellen. Und es wird die Rolle von Viren bei Tumorerkrankungen erforscht. Einer von vielen Erfolgen gipfelte dabei in der Zuerkennung eines Medizin-Nobelpreises für die Erkenntnisse zur Rolle von HP-Viren bei der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs. Darüber wollen wir heute sprechen mit dem Medizin Nobelpreisträger Harald zur Hausen und unseren Gästen.
Moderator: Ganz herzlich willkommen, meine Damen und Herren, heute aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum hier in Heidelberg. Ich freue mich ganz besonders und es ist mir eine Ehre, den Mediziner und Wissenschaftler Professor Harald zur Hausen begrüßen zu dürfen, der seit Jahrzehnten in der Krebsforschung tätig ist und dem für seine Erkenntnisse zu humanen Papillomviren im Jahre 2008 der Nobelpreis für Medizin zuerkannt wurde. Ganz herzlich willkommen, Professor zur Hausen. (Professor zur Hausen: Vielen Dank.) Dann ist es mir eine große Freude, Professor Jürgen F. Riemann begrüßen zu dürfen. Er leitet unter anderem die Stiftung Lebensblicke – Früherkennung Darmkrebs. Professor Riemann ist Sprecher der Arbeitsgruppe zur Weiterentwicklung der Darmkrebsfrüherkennung im Nationalen Krebsplan und seit 2015 Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Krebsstiftung DKS. Schön, dass Sie da sind, Herr Professor Riemann. Und ganz herzlich willkommen heißen möchte ich Heike Weinberg, die an Gebärmutterhalskrebs erkrankt ist und uns von ihrem bemerkenswerten Umgang mit ihrer Krebserkrankung erzählen werden wird.
Moderator: Frau Weinberg, wann haben Sie die Diagnose Gebärmutterhalskrebs erhalten und wie kam es dazu?
Frau Weinberg: Die Diagnose bekam ich 2013 und es kam durch einen Zufallsbefund.
Moderator: Was wussten Sie damals im Jahr 2013 über diese Krebsart
Frau Weinberg: Im Prinzip nichts. Also, ich habe mich vorher mit der Krebsart nicht auseinandergesetzt.
Moderator: War Ihnen denn HPV vor der Diagnose ein Begriff?
Frau Weinberg: Ein Begriff nicht wirklich. Aber diese Thematik der Impfung, bei Mädchen damals, das habe ich schon mitgekriegt. Aber da das für mich auch kein Thema war, ich habe zwei Jungs, habe ich mich damit auch nicht beschäftigt.
Moderator: Hand aufs Herz, wussten Sie im Verlauf Ihrer Erkrankung dann Stück für Stück erst mehr oder haben Sie gleich einen Kanal gefunden, wo Sie die gezielten Informationen, die für Sie wichtig waren, bezogen haben?
Frau Weinberg: Ich war erkrankt. Ja, da waren dann so viele Themen die wichtig waren, dass ich mich mit HPV da gar nicht auseinandergesetzt habe.
Moderator: Wo haben Sie Ihr Wissen, das Sie heute haben, zu dieser Erkrankung, hinterher mehren können? Wo haben Sie Ihre Informationen bezogen?
Frau Weinberg: Das sind mehrere Quellen. Also einmal wirklich gute Ärzte, bei denen ich in Behandlung war und auch immer noch bin, da sehr gut aufgestellt bin. Und, was ich noch sehr gut finde, ist die Seite vom DKFZ, den Krebsinformationsdienst, für einen Laien einfach gut verständlich beschreiben. Und auch diese kostenlose Telefonnummer. Die habe ich auch benutzt und die finde ich auch hilfreich.
Moderator: Jetzt sind wir ja heute hier im DKFZ, welche Erinnerungen haben Sie daran?
Frau Weinberg: Gute. (lacht) Das war für mich immer ein sehr familiäres Umfeld. Also, ich bin hier jeden Tag hingekommen und bin hier gerne hingekommen. Also, das hört sich jetzt vielleicht komisch an im Rahmen einer Krebsbehandlung, aber ich war hier gut aufgehoben.
Moderator: Jetzt haben Sie mir erzählt, dass Sie 2018 einen neuerlichen Befund erhalten haben. Möchten Sie da ein bisschen darüber erzählen?
Frau Weinberg: Ja, 2018 auch wieder ein Zufallsbefund, wurde ein Lungenkrebs festgestellt. Mir wurde dann der rechte Unterlappen entfernt von der Lunge. Es sah erst nach Neutumor aus und wurde dann aber, nachdem das Gewebe untersucht worden ist, als Metasthase eingestuft. Unter anderem auch aus dem Grund, weil der HPV high Risk auch an dem Lungengewebe festgestellt wurde.
Moderator: Wie geht man damit um, wenn man zweimal in kurzer Zeit aufeinander eine solche Diagnose erhält?
Frau Weinberg: Also es war jedes Mal anders, sage ich mal. Beim ersten Mal ist es natürlich erstmal ein Riesenschock. Da ist erstmal alles anders. Beim zweiten Mal ist dann schon eine gewisse Routine einfach da. Die Krebserkrankung, die hat für mich viel verändert, aber nicht nur im negativen Sinn. Es gibt körperliche Einschränkungen, auf die könnte ich verzichten. Aber auf all das Positive, was mir entstanden ist und was in meiner Entwicklung mich weiterentwickelt hat, da möchte ich nicht darauf verzichten.
Moderator: Wenn man Sie hört und wenn man Sie erlebt, dann spürt man, dass Ihr Kompass nicht auf Krankheit ausgerichtet ist, sondern auf Leben.
Frau Weinberg: Ganz genau.
Moderator: Wie gelingt so was?
Frau Weinberg: Oh, das sind viele Faktoren, die da mit reinspielen. Da ist ein starker Glaube, der mich trägt. Meine Familie, die mich trägt, und einfach auch mein Wille, mich nicht als Opfer zu sehen meiner Umstände, sondern immer was daraus zu ziehen und zu machen und zu verändern. Und das hilft mir ungemein
Moderator: Herr Professor zur Hausen, erstmal würde ich Sie bitten als Wissenschaftler, als Mediziner, vielleicht ein bisschen zu kommentieren, was Sie gerade durch Frau Weinberg erfahren haben, was ist Ihr Eindruck, was haben wir hier für eine Persönlichkeit?
Professor zur Hausen: Frau Weinberg hat natürlich die Erfahrung selbst gemacht, dass Sie an diesem Krebs erkrankt war, und auf dieser Basis natürlich auch die Behandlung und die Behandlungsmodalitäten miterlebt hat, die für die Krebspatienten in aller Regel ziemlich belastend sind. Und ich glaube, wenn man durch die Impfung allein diese Erfahrung, die von der Anfangsdiagnose bis zur erfolgreichen Behandlung bestehen, wenn man die mit in Rechnung stellt, dann sind die Impfungen ein unglaublicher Segen.
Moderator: Wie sind Sie denn auf die Erkenntnis gestoßen und welche Reaktion haben Sie damals erhalten, als Sie festgestellt haben, dass die humanen Papillomviren, also diese Warzenviren, eine Rolle bei der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs spielen?
Professor zur Hausen: Ach wissen Sie, ich komme aus einer Gegend in Deutschland, wo man bekannt ist für eine gewisse Sturheit. Und insofern hat mich das nicht so sonderlich belastet, aber es ist wahr, es hat natürlich enorm viel Skeptiker gegeben. Zu dem Zeitpunkt waren andere Viren in Verdacht geraten, die wir auch untersucht hatten, wir haben aber nichts gefunden in der Richtung. Die Papillomviren waren für mich deswegen gute Kandidaten, weil ich sah, dass bei genitalen Warzen gelegentlich eine bösartige Entartung stattfindet aber wir fanden sie nicht im Gebärmutterhalskrebs. Und über die Jahre haben wir das weiterverfolgt. Es hat nach der Identifizierung dieser Viren nochmal vier weitere Jahre gedauert, bis wir dann über bestimmte Proben letzten Endes direkt aus dem Gebärmutterkrebs solche Agenzien isolieren konnten, das sind so genannte HPV humane Papillomvirus Typ 16 und etwas später auch der Typ 18, die heute für etwa 70 Prozent aller Krebserkrankungen im Gebärmutterbereich verantwortlich sind.
Moderator: Helfen Sie uns in der Zeitreise, eine Einordnung vorzunehmen. Zu welchem Zeitraum war das-.
Professor zur Hausen: Also, die Entdeckung dieser Viren war 1983/84. Da haben wir auch die Veröffentlichung rausgebracht. Die Aufnahme war am Anfang etwas- von vielen der Fachkollegen ungeduldig, aber sie konnten sehr schnell, weil wir die Proben überall hin sandten, selber bestätigen, dass sie das selber auch fanden, und das hat schnell den Glauben dann geändert und dazu geführt, dass eigentlich die Forschung zu Papillomviren in einer ganz kurzen Zeitspanne fast logarithmisch anstieg, weltweit inzwischen. Und dann auch letztlich zur Impfung führte. Lassen Sie mich zur Impfung noch eben sagen, die Impfung ist zwar von uns empfohlen worden, aber sie ist nicht direkt von uns entwickelt worden. Die ist andernorts als solche entwickelt worden.
Moderator: Der Impfstoff kam 2006 auf den Markt?
Professor zur Hausen: Das ist korrekt. 2006 wurden die ersten Impfungen durchgeführt. Heute ist das in meinen Augen zumindest eine der erfolgreichsten Impfungen, die wir überhaupt kennen, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt angewandt wird, das heißt, bevor die betreffenden Personen mit diesen Agenzien infiziert sind.
Moderator: Diese Entwicklung dieses Impfstoffes auf Basis Ihrer Forschung hat doch völlig neue Perspektiven eröffnet.
Professor zur Hausen: Ja, Gott lob. Ich würde sagen, das stimmt schon. Und es gab natürlich schon eine Impfung, die vorher erfolgreich war, die Hepatitis B-Impfung, die vor allem in Südostasien eine große Rolle beim Leberkrebs spielt und auch dort diesen Krebs verhindert. Aber wir sind in der Tat-, leben wir in einer Phase, wo wir sehen, dass wir durch intensive Forschung und intensive Analyse von Krebserkrankungen möglicherweise doch eine ganze Reihe von weiteren Krebserkrankungen präventiv, also vorbeugend, behandeln können.
Moderator: Ich habe gelesen, dass weltweit circa 500.000 Menschen infiziert sind oder werden.
Professor zur Hausen: Also, infiziert ist wahrscheinlich eine Unterschätzung der wirklichen Zahl. Wir gehen eigentlich davon aus, dass ein Großteil der Frauen im gebärfähigen Alter, dass sie irgendwann im Leben mit diesen Agenzien in Berührung kommen. Im Großen und Ganzen ist es klar, dass diese Agenzien eine ganz wichtige Rolle in der Krebsentstehung des Menschen spielen. Jetzt nicht nur für den Gebärmutterhalskrebs, auch für den Mundhöhlenkrebs hat sich das zunehmend herausgestellt, überhaupt, für Krebserkrankungen im gesamten Genitalbereich, im Genitalbereich, im Analbereich, also im Afterbereich auch.
Moderator: Lassen Sie uns noch mal den Blick darauf richten, wie kommt es zu einer Infektion?
Professor zur Hausen: Die Infektion wird praktisch in fast allen Fällen durch den Geschlechtsverkehr übertragen. Also mit anderen Worten, Personen, die nicht Geschlechtsverkehr haben, haben auch so gut wie kaum ein Risiko, an solchen Erkrankungen zu leiden. Ich würde sagen, wir können davon ausgehen, dass mindestens 90 Prozent, aber wahrscheinlich mehr als 90 Prozent, mit sexuellen Kontakten direkt zu tun haben.
Moderator: Das heißt, die Frauen werden durch die Männer angesteckt?
Professor zur Hausen: Richtig. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den Sie gerade erwähnen. Deshalb haben wir mit großem Nachdruck dafür plädiert, dass junge Männer, Jungen, im richtigen Alter, vor Einsetzen ihrer sexuellen Aktivität, ebenfalls geimpft werden, denn sie sind definitiv die Hauptüberträger der entsprechenden Infektion. Natürlich kommt die Infektion auch von den Frauen wieder auf Männer zurück, aber die Impfung der Männer-, ich habe das oft provokativ gesagt, wenn wir nur die Jungen impfen würden, sagen wir im Alter von acht bis elf Jahren, dann würden wir wahrscheinlich mehr Gebärmutterhalskrebs verhindern, als wenn wir nur Mädchen in der entsprechenden Altersgruppe impfen würden. Das liegt an der etwas höheren sexuellen Aktivität der jungen Männer im Vergleich zu den jungen Frauen.
Moderator: Was begünstigt diese Form von Krebs? Ich habe in der Vorbereitung gelesen, dass Rauchen zum Beispiel etwas ist, was begünstigt oder auch frühe Schwangerschaften, häufige Schwangerschaften?
Professor zur Hausen: Also, wechselnde Partner sind ein klarer Risikofaktor. Das Rauchen ist in gewissem Umfang ein Risikofaktor, aber im Prinzip reicht eine Papillomvirusinfektion auch alleine, wenn sie über längere Zeit verbleibt und aktiv ist, den Krebs zu erzeugen, ohne dass Sie irgendwelche Zusatzfaktoren identifizieren müssten.
Moderator: Würde die Verwendung von Kondomen hier Abhilfe schaffen?
Professor zur Hausen: Verleiht einen gewissen Schutz, aber nur einen gewissen Schutz. Und es wird berechnet, aufgrund der Basis der Publikationen, dass eine etwa 30 bis 40-prozentige Verminderung des Infektionsrisikos durch Kondomnutzung zustande kommt.
Moderator: Jetzt haben Sie 2008 den Nobelpreis für Medizin erhalten. Wie stellen wir uns das vor, wird man da tatsächlich angerufen?
Professor zur Hausen: Ich wurde angerufen an dem entsprechenden Tag so gegen elf Uhr und wenn Sie dann jemanden hören mit einem schwedischen Akzent und wenn Sie vorher von den Kollegen schon gehört haben, dass Sie durchaus Chancen haben, den Preis zu bekommen, dann war ich natürlich sehr hellhörig, als ich das am Telefon vernahm. Und dann wurde mir gesagt, dass ich den Preis gewonnen hätte. Und ich freute mich natürlich darüber. Das kann ich gar nicht verhehlen bei dieser Gelegenheit. Und hatte dann gleich meiner Frau angerufen, die gerade vom Gate in Frankfurt losging zum Flug nach Argentinien. Und habe ihr das gesagt. Und sie war natürlich auch voller Freude und die Stewardess hat versucht, ihr das Telefon aus der Hand zu nehmen. Die hat gesagt: „Wir fliegen jetzt“. Da hat sie gesagt: „Aber mein Mann hat doch gerade den Nobelpreis gewonnen“, und in dem Moment hat die Stewardess gesagt: „Okay, ich habe nichts gesehen.“
Moderator: Was für eine zauberhafte Geschichte.
Professor zur Hausen: Aber für mich persönlich hat das eine andere Bedeutung gehabt. Denn als ich den Nobelpreis bekam, dann im Dezember, ich hatte mich schon vorher entschieden, sowie ich den habe, dann geht es erst richtig los. Und ich habe mich seitdem in der Tat ganz intensiv mit weiteren, vermutlich durch Infektionen bedingten, Krebserkrankungen befasst, vor allem mit Dickdarmkrebs, Brustkrebs und Prostatakrebs. Und ich sehe heute, dass sich das wirklich gelohnt hat das weiter zu machen. Und dass auch nach dem Nobelpreis noch wesentliche und wichtige Erkenntnisse gewonnen werden konnten, die vermutlich in der nahen Zukunft eine noch größere Rolle spielen werden als die Papillomvirus-Impfung selbst. Obwohl ich die für extrem wichtig halte.
Moderator: Was treibt Sie an?
Professor zur Hausen: Die Neugier. Vielleicht die Neugier, aber doch auch ein extremes wissenschaftliches Interesse. Ich meine biologische Phänomene, seit meiner Kindheit war ich extrem interessiert. Und solange wir die Ursachen nicht kennen, ist es mit der Prävention immer vage bestellt. Und das ist mein Anliegen im Moment, auch für andere Krebserkrankungen das so weiter intensiv zu verfolgen.
Moderator: Es wird der Gebärmutterhalskrebs am häufigsten bei Frauen im Alter zwischen 40 und 44 Jahren diagnostiziert?
Professor zur Hausen: In unseren Breiten ist der Krebs am häufigsten so zwischen 40 und 60 Jahren.
Moderator: Wie verläuft eine HPV-Infektion?
Professor zur Hausen: Am Anfang unglaublich unauffällig und schleichend. Also, wir können davon ausgehen, dass es manchmal Jahre dauert, bis überhaupt erste Läsionen sichtbar werden nach einer Infektion, und dass bis zum Auftreten des Krebses, nach dem sichtbar werden der Läsionen, häufig noch 20, 15 bis 30 Jahre vergehen. Also es ist eine Infektion, die über lange Zeiträume verläuft. Wir wissen es von anderen Erkrankungen, die mit Krebs in Verbindung stehen und anderen Infektionen, dass die Zeiträume noch länger sein können, zum Teil 40 bis 70 Jahre dauern können. Wenn chronische Entzündungsprozesse dazu kommen, ist immer noch ein zusätzlicher Faktor dabei, der letzten Endes die Krebsentstehung dann zu einer späten Phase begünstigt.
Moderator: Ich darf im Gespräch zu Professor Riemann wechseln. Herr Professor Riemann, wenn man Ihre Vita betrachtet, dann fragt man sich, wie das alles, was Sie unternommen und geleistet haben, in ein Leben passt. Unter anderem waren Sie 23 Jahre lang Direktor einer medizinischen Klinik in Ludwigshafen. Sie haben mehr als 600 Vorträge gehalten, über 500 Publikationen veröffentlicht, ein Standardlehrbuch verfasst, Habilitanden und Chefärzte betreut, unzählige Ehrungen erfahren und, und, und. Und wer Sie ein wenig kennt, weiß, Sie werden nicht müde darin, sich in der Öffentlichkeit für ein verändertes beziehungsweise stärkeres Bewusstsein rund um das Thema HPV und Impfung einzusetzen. Warum?
Professor Riemann: Dazu muss man ein bisschen aus der Vorgeschichte erzählen. Ich befasse mich ja schon seit Jahrzehnten mit der Prävention. Weil ich als Gastrologe lange Jahre gesehen habe, dass Menschen mit Blut im Stuhl von ihren Hausärzten auf Hämorrhoiden behandelt worden sind und als es dann nicht aufhörte, man ein Karzinom festgestellt hat. Zu der Zeit kamen erste Veröffentlichungen auf, die gezeigt haben, dass der Darmkrebs mit Vorstufen eine lange Entwicklungsphase hat und dass wir eine große Chance haben, hier eingreifen zu können, und zwar bevor ein Krebs entsteht. Das war die Startbasis für meine Beschäftigung über zum Beispiel die Stiftung Lebensblicke mit diesem Thema. Wir haben dann 2013 zusammen mit Professor zur Hausen und anderen Persönlichkeiten hier aus der Region die Initiative Prävention in der Metropolregion Rhein-Neckar begründet, weil wir gesagt haben, man muss Kräfte bündeln und gucken, dass die, die an verschiedenen Themen arbeiten, zusammengeführt werden. Eines dieser zentralen Themen war neben Darmkrebsfrüherkennung das HPV-Virus, weil es damals um die Impfung ging. Und wir haben zusammen ein Projekt auflegen können im Bereich Bergstraße der Schulimpfung. Das war für die bundesdeutsche Landschaft neu, weil Schulimpfungen schon lange out sind.
Moderator: Was motiviert Sie dabei?
Professor Riemann: Die Motivation ist ganz einfach. Wenn man gesehen hat, und wir haben ja gerade gehört, dass der Nobelpreis für Medizin für eine Grundlagenforschung, die auch zu praktischen, klinischen Konsequenzen geführt hat, verliehen worden ist. Und man damit ableiten konnte, dass eine echte Karzinomprophylaxe durch eine Impfung möglich ist, wie wir das von der Hepatitis B kennen, dann muss man sagen, man muss sozusagen die Kräfte darauf ausrichten, dass vielleicht sehr viel mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen. Denn Impfungen hat es bei uns ja schon immer gegeben, und zwar vor allem im Kindesalter. Das war selbstverständlich, dass man hinging und sich impfen ließ. Aber Impfungen zu einem späteren Zeitpunkt sind unüblich und damit in einen Kritikbereich geraten, der dazu geführt hat, dass es sehr viel Abwehr gerade gegen die HPV-Impfung gegeben hat. Und das hat motiviert zu sagen, man muss aufklären. Nicht nur über die Krankheit, sondern vor allem über die Sicherheit der Impfung. Und da gibt es inzwischen so viele wissenschaftliche Publikationen, dass man sagen muss, man kann eigentlich den Impfgegnern komplett den Wind aus den Segeln nehmen, weil gerade die HPV-Impfung eine der sichersten Impfungen überhaupt ist.
Moderator: Wo steht das Thema heute im Jahr 2020, und zwar bei den unterschiedlichen Beteiligten? Ich würde gerne den ersten Spot, das erste Licht, auf Ärzte und medizinische Fachgesellschaften lenken.
Professor Riemann: Da gibt es Nachholbedarf. Was wir im Laufe der Beschäftigung festgestellt haben, ist, dass das Wissen über die HPV-Geschichte insgesamt nicht, auch unter Ärzten, nicht sehr verbreitet ist. Auch hier ist jede Menge Information notwendig. Das war für mich der Anlass, im Rahmen meiner Tätigkeit in der Deutschen Krebsstiftung die Allianz gegen HPV zu gründen. Unterschiedlichste Organisationen zusammenzuführen, mit dem Hintergrund, jeweils über diesen Kreis Informationen in die Fachgesellschaften zu tragen. Und in dieser Allianz sind neben dem Robert-Koch-Institut und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Gynäkologen, Urologen, inzwischen kommen auch Dermatologen hinzu und Kinderärzte. Und es ist gelungen, sage ich mal, durch diese Aktivitäten Informationen, die von der Allianz zusammen mit dem Robert-Koch-Institut erarbeitet worden sind, in die Fachgesellschaften zu tragen. Und das auf Kongressen und auf Fortbildungen weiter zu tragen. Es gibt inzwischen, gerade bei den Frauenärzten schon länger, Impfkurse, aber auch die Urologen haben das inzwischen erkannt. Und bieten auch in ihrem Bereich Impfungen an, nachdem Gott sei Dank das Robert-Koch-Institut auch die Jungen mit einbezogen hat. Es ist ja lange umstritten gewesen. Wir haben uns immer auch zusammen mit Professor zur Hausen für die Jungenimpfung eingesetzt. Das war ein markanter Schritt. Aber der noch viel markantere Schritt war der, dass das RKI die Impfuntergrenze auf neun Jahre gesenkt hat. Und das ist ein ganz entscheidender Schritt gewesen, dass man Schulimpfungen machen kann und damit Kinder erreicht, weit vor dem ersten Geschlechtsverkehr, wo das noch am sichersten ist.
Moderator: Wo steht das Thema aktuell bei den Krankenkassen?
Professor Riemann: Die Krankenkassen waren immer sehr zurückhaltend. Und die zusätzliche Impfung der Jungen hat keine Begeisterungsstürme ausgelöst. Aber die Datenlage hat letztlich auch die Krankenkassen überzeugt, dass Prävention in dem Fall sicher etwas sehr viel Besseres ist, als hinterherzuhinken und später Erkrankungen zu behandeln, die weitaus für die Krankenkassen kostenbelastender sind als die Prävention.
Moderator: Lassen Sie uns einen Blick auf die Politik wagen. Wo steht das Thema da?
Professor Riemann: Das ist im Augenblick schwer zu sagen. Ich hatte im August letzten Jahres ein längeres Gespräch mit Bundesgesundheitsminister Spahn, wo ich auch dieses Thema artikuliert habe. Herr Spahn ist sehr begeistert und sehr angetan von dieser Impfung, aber er weiß natürlich genau wie wir, dass es durchaus noch viele Hindernisse gibt. Die Hindernisse liegen zum einen in der föderalen Struktur der Bundesrepublik. Jedes Land hat andere Zugänge zur Impfung, andere Kostenerstattungen. Und das macht es enorm schwer, sozusagen hier eine Vereinheitlichung hinzubekommen. Aber Herr Spahn hat hier seine Unterstützung zugesagt. Und ich sehe an der Tatsache, dass das Bundesgesundheitsministerium eine Studie in Auftrag jetzt gibt über das IGIS Institut, wo wir als Deutsche Krebsstiftung im wissenschaftlichen Beirat beteiligt sind, die ermitteln soll, wie derzeit die grundsätzliche Situation der HPV-Infektion in Deutschland ist, wie die Impfrate ist etc., um sozusagen erste Daten zu haben, wo man auf breiter Grundlage sehen kann, wo stehen wir derzeit. Diese Studie wird wahrscheinlich innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein und dann kann man schon sehr viel mehr darüber sagen, was zu tun ist von Seiten der Politik. Ich glaube, hier müssen weitere entscheidende Initiativen erfolgen.
Moderator: Von welcher Impfquote, von welcher Impfzahl an jungen Mädchen und Jungen sprechen wir da pro Jahr im besten Falle?
Professor Riemann: Im Augenblick liegt die Impfquote bei etwa 30, 40 Prozent. Das ist natürlich viel zu wenig, verglichen mit anderen Ländern. Unser Projekt in der Bergstraße hat gezeigt, dass man durch Aufklärung und durch Schulimpfung diese Rate auf über 80 Prozent steigern kann. Und das ist eigentlich ein fantastisches Ergebnis. Lassen Sie mich noch einen anderen Gesichtspunkt anführen, der mir sehr wichtig ist. Da es sich ja um Jugendliche handelt, um Kinder und Jugendliche, muss man natürlich auch versuchen eine Antenne zu bekommen zu dieser Gruppe der Bevölkerung. Wir haben als Deutsche Krebsstiftung Kontakt aufgenommen mit der Initiative Jugend gegen Aids. Die sehr erfolgreich das Thema in der Öffentlichkeit diskutiert hat und auch sicher mit dazu beigetragen hat, dass insgesamt dort eine deutliche Reduktion zu erreichen ist. Und mit dieser Jugendgruppe machen wir derzeit Aktionen, um Jugendliche auf ihrem Level, in ihrer Sprache, zu erreichen. Das geht durch eine Peer-to-Peer Ausbildung, also junge Leute werden qualifiziert dafür auch in Schulen in Augenhöhe zu informieren. Aber was noch viel wichtiger ist, wir werden Programme über soziale Medien machen, um Jugendliche in ihrer Sprache anzusprechen und das Thema sozusagen voranzubringen. Man muss für ein solches Thema, was so wichtig ist, versuchen, von verschiedensten Seiten anzufassen.
Moderator: Heike Weinberg, wie klingt das für Sie, wenn jetzt heute im Jahre 2020 in Vorhaben gestattet wird, die Schüler, die Jungen, die Mädchen viel, viel früher mit dem Thema zu konfrontieren und abzuholen, das sind ja Aktivitäten, die es zu Ihrer Zeit damals leider nicht gegeben hat. Begrüßen Sie so was?
Frau Weinberg: Prinzipiell auf jeden Fall, weil ich denke, diese Augenhöhe, jemanden, also einen Jugendlichen über einen Jugendlichen zu erreichen, immer der bessere Weg ist. Jetzt zu dem Punkt Impfungen, also jetzt, gerade weil die Impfungen ja in sehr jungen Jahren sinnvollerweise gemacht werden, da weiß ich nicht, inwieweit die Kinder da ihre Eltern überzeugen können. Da hätte ich jetzt eher das Gefühl, gerade um die Eltern-, weil, die Entscheidungen treffen ja in dem Alter noch die Eltern, ob ein Neunjähriger geimpft wird. Und da müssen in meinen Augen gerade um den Jungen oder das Mädchen im Alter von neun Jahren impfen zu lassen, müssen die Eltern diejenigen sein, die entscheiden, und ich weiß nicht, ob da die Neunjährigen ihre Eltern schon so weit bearbeiten können, das weiß ich nicht.
Professor Riemann: Ja, da muss man glaube ich zwei Seiten sehen. Die Neun- bis Zwölfjährigen brauchen natürlich ihre Eltern. Das geht nur über die Eltern auf, das ist auch in diesem ganzen Programm vorgesehen. Der Sinn dieser sozialen Medien ist, dass das Thema für Jugendliche so interessant wird, dass sie zu Hause sagen: Mensch, da habe ich gehört, da gibt es was, das möchte ich auch haben. Mein Nachbar, der Schüler sowieso oder mein Freund ist bereits geimpft, ich möchte das auch haben. Man möchte also das Thema in die Familie mit hereintragen. Das ist der eigentliche Sinn. Neunjährige können natürlich keine Auskunft zu so etwas geben.
Professor zur Hausen: Darüber hinaus zeigen eigentlich die Daten aus Australien vor allem, wo Schulimpfungen, wo Schulaufklärung und Schulimpfungen im großen Umfang durchgeführt werden, dass praktisch 80 Prozent aller Jugendlichen durchgeimpft werden. Australien ist das erste Land, das jetzt eine drastische Reduktion der Vorstufen des Gebärmutterhalskrebses bereits hat, wo man auch schon beginnt zu sehen, dass die Krebsrate zurückgeht. Weil, ich sagte eben, dass da lange Zeitphasen dazwischen liegen. Und in anderen Ländern, wo das ebenfalls intensiv über Schulprogramme betrieben wurde, ich denke jetzt an die Niederlande oder auch an Skandinavien, das wird die die gleiche Entwicklung zeigen. Insofern kann ich nur die Initiative die Herr Riemann mit entwickelt hat, die Schulprogramme hier in diesem Bereich durchzuführen, nachhaltig unterstützen, denn sie bringen was. Die jungen Leute sind bereit, das zu akzeptieren, auch wenn sie neun oder zehn Jahre erst alt sind und ihre Eltern anzusprechen und sie zu drängen, muss ich nicht auch hier geimpft werden.
Moderator: Um das Thema auch noch anzusprechen, mit welchen Nebenwirkungen muss man möglicherweise rechnen, die bei einer Impfung auftreten?
Professor zur Hausen: Also, dazu lässt sich sagen, dass es Statistiken aus Australien gab, die eigentlich besagten, neben der häufig auftretenden Rötung an der Impfstelle und gelegentlich auch vielleicht ganz leichtem febrilen, fieberhaften Schüben, die meisten nur ganz kurzfristig auftreten, dass ernsthafte Nebenwirkungen etwa in einem von 100.000 Impfdosen erwartet werden. Das ist in der Tat deutlich niedriger als praktisch für alle anderen Impfungen, die wir heute den Kleinkindern verabreichen. Und das sind dann Allergien, allergische Reaktionen, gegen das Eiweiß, das in dem Impfstoff von dem Virus vorhanden ist, die im Prinzip gut behandelt werden können. Wenn eine solche Allergie auftritt und wenn sie richtig erkannt wird.
Moderator: Wie lange hält die Impfung dann vor?
Professor zur Hausen: Ja, das ist eine gute Frage. Also, sie hält mindestens, nach den jetzigen Kenntnissen von den 2006 bis 2008 Geimpften, über zehn, wahrscheinlich über 20 Jahre, vor. Wir gehen davon aus, dass ähnlich wie bei der Hepatitis B-Impfung der Impfschutz mindestens über 20 Jahre anhält, wahrscheinlich in einer ganzen Reihe von Fällen sogar noch deutlich länger. Aber ein langfristiger Impfschutz ist auf jeden Fall zu erwarten.
Moderator: Welche Wissenslücken müssen in der Öffentlichkeit noch geschlossen werden?
Professor Riemann: Also ich würde zunächst einmal sagen, dass, wie wir schon angesprochen haben, das ärztliche Wissen intensiviert werden muss. Das gilt vor allem für die Allgemeinärzte. Man muss natürlich aufpassen, dass man ihnen nicht zu viel aufbürdet, denn sie tragen schon die ganze Last der Versorgung aller Erkrankungen des Menschen und auch der Prävention, die jetzt in großem Maße dazu kommt. Aber ich habe auch erlebt, an Elternabenden, an denen ich teilnehmen konnte, als es um die Aufklärung zur Impfung ging, dass auch in der breiten Bevölkerung so gut wie gar nichts über HPV bekannt ist. Dass aber, wenn man vernünftig aufklärt, das Interesse und die Bereitschaft, das zu akzeptieren, sehr groß ist. Und deswegen glaube ich, dass öffentliche Kampagnen, auch über Medien, eine wichtige Rolle hier spielen. Was mich stört ist, dass in öffentlichen Medien sehr viel mehr über solche Impfgegner berichtet wird als über die Vorzüge dessen, was damit erreicht werden kann. Und ich glaube, damit setzt vieles an, die Bereitschaft ist groß, das zu machen. Wir müssen uns überlegen, zum Beispiel, in der Allianz gegen HPV, wie wir noch mehr auch öffentliche Breitenwirkung durch sachliche Information erreichen können
Moderator: Jetzt ist häufig schon in unserem Gespräch das Thema Früherkennung gefallen. Mögen Sie da noch ein paar Worte dazu verlieren?
Professor Riemann: Wenn wir noch mehr Früherkennung betreiben würden und die Menschen auch gewinnen könnten dafür, Möglichkeiten, die es gibt, in Anspruch zu nehmen, dann wäre das ein Riesenfortschritt. Ich komme nochmal auf die Darmkrebsfrüherkennung zu sprechen, die ja derzeit etwas erleichtert worden ist, dadurch dass es ein neues Gesetz gibt, was die Menschen jetzt einlädt. Krankenkassen laden ihre Versicherten ab 50 zur Früherkennung ein. Und wir erhoffen uns dadurch, durch seriöse Information, mehr Menschen dazu zu gewinnen. Wenn man diesen Weg weiter beschreitet, dann ist sicher damit zu rechnen, dass viele-, und auch diese Darmkrebserkrankung in ihrer Häufigkeit drastisch reduziert werden kann. Ich sage das mal ganz provokativ. Wenn jeder die Möglichkeiten wahrnehmen würde, die es gibt, dann wäre Darmkrebs eine verschwindende Größe in der Medizin.
Professor zur Hausen: Und hier darf ich hinzufügen, hier hat der Professor Riemann hervorragende Verdienste in der Vergangenheit erworben. Denn durch seine Aktivitäten ist tatsächlich der Rückgang inzwischen in vielen Bereichen spürbar.
Moderator: Es gibt ja auch eine klare Impfempfehlung von der Ständigen Impfkommission, der STIKO. Was beinhaltet die?
Professor Riemann: Sie beinhaltet, dass eben Mädchen und Jungen ab neun Jahren bereits einer Impfung zugeführt werden können. Und zwar in zwei Dosen. Wenn man sie nach dem dreizehnten Lebensjahr gibt, braucht man, glaube ich, drei Dosen. Also, je älter man wird, umso intensiver ist natürlich die Gabe der Impfdosen. Aber die Empfehlung ist eigentlich klar. Und wir sind froh, dass das so früh verlegt worden ist, weil dann der Effekt der größte ist. Ich möchte nochmal-, mir fällt gerade noch ein Gedanke ein, den ich für sehr wichtig halte. Es ist in vielen ärztlichen Bereichen, auch im Umfeld HPV, immer noch verbunden nur mit dem Begriff Gebärmutterhalskrebs. Es ist noch nicht durchgedrungen, dass das für vieles andere natürlich auch gilt, vor allem für Mundhöhlenkrebse, für das Analkarzinom, was inzwischen die Gastrologen auch erkannt haben, dass das eine wesentliche Rolle spielt und dass das entsprechend auch verhütet werden kann, wenn man in diesem Bereich die Impfung empfiehlt. Also, man muss sich davon lösen, dass HPV nur Gebärmutterhals ist.
Moderator: Wie ist das mit der Kostenerstattung dieser Impfung?
Professor Riemann: Die Krankenkassen finanzieren die Impfung.
Moderator: Alle?
Professor Riemann: Alle.
Moderator: Heike Weinberg, welche Stationen sind mit Ihrer Krebserkrankung besonders in Erinnerung geblieben?
Frau Weinberg: Ja, also, zuerst einmal die Diagnose natürlich, die ein Riesenschock war erstmal. Und dann doch aber daraus schnell was entstanden ist. Für mich war ganz wichtig, mich nicht als Opfer einer Krankheit oder einer Diagnose zu sehen. Sondern, das ist jetzt mein Thema und das gehe ich an. Und mache das, was ich denke, ist richtig und passt. Und diese Zeit hat mich verändert. Und hat mir ganz viel geschenkt auch. Letztendlich wirklich geschenkt, an menschlicher Wärme, an neuen Perspektiven.
Moderator: Wie würden Sie denn frisch diagnostizierten Frauen Mut machen wollen?
Frau Weinberg: Erstmal ist es ein Prozess, den auch zuzulassen. Da ist-, da reißt es einem den Boden unter den Füßen weg und das ist auch okay. Aber dann, da nicht stehen zu bleiben, nicht an diesem Punkt stehen zu bleiben, das ist jetzt schlimm, sondern wirklich zu versuchen, da rauszutreten und zu sagen, okay, das ist jetzt so. Und ich kann schauen, was kann ich tun, was ist möglich medizinischer Natur oder wie kann ich aber auch was Gutes für mich tun. Einfach nicht in diesem Moment stecken zu bleiben.
Moderator: In der Starre?
Frau Weinberg: Nicht in dieser Starre, in dieser Starre, stecken zu bleiben, sondern weiterzugehen. Der eine möchte offen damit umgehen, der andere nicht. Das ist auch okay. Jeder seinen eigenen Weg zu finden, also, das finde ich auch ganz wichtig. Auch auf sich zu hören, was passt für mich, was ist stimmig für mich. Was möchte ich, welchen Weg möchte ich gehen?
Moderator: Mir fällt auf, Sie haben keine Kampfrhetorik. Sie sagen nicht, ich kämpfe. Sondern, Sie sagen, ich gebe nicht auf. Aber mein Blick ist ganz klar auf Leben ausgerichtet, und ich gebe den Fokus nicht so sehr auf die Erkrankung.
Frau Weinberg: Richtig.
Moderator: Wäre das stimmig für Sie?
Frau Weinberg: Absolut stimmig, ja.
Moderator: Wie erleben Sie das, Herr Professor Riemann? Sie kennen Frau Weinberg ja ein bisschen länger.
Professor Riemann: Ich denke, das ist einer der wichtigen Wege wie man mit seiner Erkrankung umgehen kann. Aufstehen, zurück ins Leben. Das ist, glaube ich, einer der Wahlsprüche auch. Und ich erinnere daran, dass die Deutsche Krebsstiftung ja vor fünf Jahren zusammen mit Ihnen den German Cancer Survivors Day ins Leben gerufen hat, wo zum ersten Mal in der Öffentlichkeit Menschen ihre Geschichten erzählt haben. Weil diese Tabuzone ja nie durchbrochen worden ist. Es gab selten Menschen, die so offen über ihre Erkrankung erzählt haben. Und auf dieser Bühne hat sich gezeigt, dass das Interesse der Bevölkerung, so etwas zu hören, groß ist. Weil man sieht, dass eben Krebs nicht ein Damoklesschwert ist, was auf einen herunterfällt und sozusagen ihn mit einem Schlagwort bedingt, du hast jetzt Krebs und daran wirst du sterben, sondern, dass es durchaus viele Wege gibt, um mit dieser Erkrankung fertig zu werden. Und, ich denke mal, etwa ein Drittel bis 40 Prozent der Menschen brauchen zusätzlich zu den eigenen Kräften, wie sie sie entwickelt hat, auch eine Betreuung von Externen. Das leisten ja die Krebsgesellschaften, auch die Landeskrebsgesellschaften.
Moderator: Viele Psychoonkologen.
Professor Riemann: Ja, mit ihren psychoonkologischen Einrichtungen, hervorragend. Aber sie hat das absolut richtig gesagt, man entwickelt ein neues Leben, wenn man so will. Und ich fand das bewundernswert, wie sie erzählt hat, wie sie mit ihrem Rückschlag, den sie erfahren hat, umgegangen ist.
Moderator: Frau Weinberg, wie leben Sie heute?
Frau Weinberg: Ich lebe gut. Ich lebe sehr intensiv. Ich lebe sehr im Moment. Und mein Kalender hat ganz viel Luft, ganz bewusst. Ich renne nicht mehr am Leben vorbei, ich lebe sehr intensiv. Und das ist etwas Wunderbares. Und ich verfolge viele, die mir am Herzen liegen, und dafür nehme ich mir ganz viel Zeit.
Moderator: Was sagen Sie beide, ist Gebärmutterhalskrebs heute gut therapiebar oder auch sogar besser heilbar?
Professor Riemann: Ich würde sagen, grundsätzlich gut therapiebar. Es ist ja so, dank der Früherkennung, die ja gemacht wird, und auch schon lange gemacht wird, gibt es ja in Deutschland schon sehr viel weniger Gebärmutterhalskrebs. Die Rate ist ja dramatisch zurückgegangen durch die gesamte Vorsorge. Und wenn man diese Vorstufen entdeckt und frühzeitig entfernt und auch die frühen Krebse entfernt, ist die Chance sehr gut. Aber Frau Weinberg zeigt ja, dass auch ein fortgeschrittener Krebs mit den heutigen Behandlungsmöglichkeiten sehr gut in den Griff zu kriegen ist.
Professor zur Hausen: Das ist sicher richtig. Ich kann nur sagen, ich kann nachdrücklich begrüßen, dass ein German Cancer Survivors Day eingerichtet wurde. Und halte das auch für extrem wichtig. Meine Einschränkung beruht auf einer anderen Perspektive. Ich finde es eigentlich genauso gut oder vielleicht sogar noch etwas besser, wenn wir langfristig einen German Cancer Prevention Day einrichten würden, als den Survivors Day, weil das würde viel Leid ersparen, wenn wir vor allem mit großem Nachdruck auf die Prävention drängen würden. Wenn ich heute sehe, dass in fast allen Regierungen, das gilt jetzt nicht nur für Deutschland, die Ausgaben für die Krebsprävention einen Minimalsatz im Vergleich zu den anderen Ausgaben für die Behandlung des Krebses darstellen, in der Regel so um etwa drei, vier Prozent herum, dann ist das aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt.
Moderator: Lassen Sie uns einen Ausflug in die Zukunft machen. Welche Entwicklungen wünschen Sie sich in der Gesellschaft, Professor Riemann, was soll sich verändern?
Professor Riemann: Wir haben in den letzten Jahren sehr intensiv über Impfungen diskutiert. Es ist hier eine Masernimpfflicht eingeführt worden. So weit würde ich bei HPV nicht gehen, aber ich würde appellieren, an alle Entscheider im Gesundheitswesen, dass mit der HPV-Impfung eine echte Krebsprophylaxe erreicht werden kann. Dass die Daten eindeutig sind. Und dass alles dafür getan werden muss, dass die Bevölkerung informiert bleibt. Jeder möchte den informierten Patienten, den informierten Betroffenen. Und ich kann nur jemanden dann dazu bringen, wenn er auch tatsächlich begriffen hat, worum es geht.
Moderator: Herr Professor zur Hausen, was wünschen Sie sich bezogen auf HPV in der Krebsforschung und in der Wissenschaft?
Professor zur Hausen: Wenn ich es alleine auf HPV beziehe, dann sehe ich eigentlich, dass wir auf einem relativ guten Weg sind. Wenn ich es allerdings auf die Vielzahl der chronischen Erkrankungen beziehe, und das ist nicht nur Krebs, das sind auch chronische neurologische Erkrankungen, sind auch Autoimmunerkrankungen. Alzheimer, Parkinson und viele andere. Wenn wir das wirklich etwas näher beleuchten sehen wir, dass da viele, viele Fragezeichen bestehen die unbeantwortet bleiben. Und wenn wir nicht verstärkt darauf unsere Aufmerksamkeit richten, dann werden wir Schwierigkeiten haben, dafür wirksame und geeignete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Und das ist mein Wunsch, dass wir mehr Prävention betreiben.
Moderator: Frau Weinberg, was wünschen Sie sich in Bezug auf die Behandlung und Betreuung von Krebspatienten in der Zukunft?
Frau Weinberg: Die Nachbetreuung, die psychologische Nachbetreuung. Die finde ich ganz, ganz wichtig. Also Nachtherapien.
Moderator: Dann bleibt mir an der Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an Sie zu richten. Ich wünsche, dass viel passiert in der Öffentlichkeit, dass dieses Thema anders und nochmal neu aufgenommen wird. Ich hoffe, dass dieser Diskurs angeregt wird, dass es ein kraftvoller Diskurs ist, dass Eltern eine klare Entscheidung treffen können für ihre Kinder, ob sie geimpft werden sollen oder auch nicht, denn ich denke, dass es immens wichtig ist, auf Grundlage von Informationen, auf Grund von Daten eine Entscheidung zu treffen. Und dies nicht, wenn es um so ein wichtiges Thema geht, nur aus dem Bauch heraus zu entscheiden. Ich darf mich nochmal herzlich bedanken, vielen Dank.
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