Im Fokus: Fatigue – wenn Erschöpfung zum Alltag wird
Dies ist ein Veranstaltungsinhalt von SURVIVORS HOME am 13.11.2025.
In der Auftaktveranstaltung der neuen Reihe zu tumorbedingter Fatigue begrüßt Moderator Marco Ammer die Gäste Dr. Martina Schmidt (Deutsches Krebsforschungszentrum/NCT Heidelberg) und Lars Krause, langjährig Betroffener und Leiter der Tumor-Fatigue Selbsthilfegruppe Berlin.
Begriff und Merkmale der Tumor-assoziierten Fatigue
Dr. Schmidt beschreibt Fatigue als eine extreme, anhaltende Erschöpfung, die sich körperlich, kognitiv und emotional zeigt. Sie unterscheidet sich von normaler Müdigkeit, da sie ohne vorausgehende Belastung entsteht und sich nicht durch Schlaf oder Pausen bessert.
Fatigue ist eine der häufigsten und belastendsten Nebenwirkungen von Krebserkrankung und Therapie; in einigen Therapiephasen sind 70–90 Prozent der Betroffenen betroffen. Ein Drittel leidet auch Jahre nach Ende der Behandlung weiter darunter.
Ursachen, Mechanismen und Subtypen
Die biologischen Hintergründe sind komplex. Dr. Schmidt betont, dass es nicht die eine Fatigue gibt. Diskutiert werden u.a.:
- Störungen der Mitochondrien (Energieproduktion)
- hormonelle Veränderungen, z.B. durch Anti-Östrogen-Therapien
- Störungen der Schlaf-Wach-Regulation
- dauerhaft erhöhte Entzündungsmarker
- psychische Belastungen wie Angst und Stress
Bestimmte Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer langanhaltenden Fatigue, etwa frühere depressive Episoden, chronische Schmerzen, Unter- oder Übergewicht, geringe soziale Unterstützung oder ein niedriger Bildungsstatus.
Abgrenzung zu Depression, ME/CFS und Post-Covid-Fatigue
Obwohl Symptome sich überschneiden, erklärt Dr. Schmidt klare Unterschiede:
Das wesentliche Merkmal von ME/CFS ist eine ausgeprägte Belastungsintoleranz mit „Crash“ (Post-Exertional Malaise). Bei Tumor-Fatigue ist dagegen moderate Bewegung meist hilfreich und zählt zu den wirksamsten Maßnahmen.
Erfahrungen aus Sicht eines Betroffenen
Lars Krause berichtet, dass seine Fatigue jahrelang nicht erkannt wurde. Mehrere Ärzte diagnostizieren zunächst Depression. Erst eine spezialisierte Sprechstunde bringt Klarheit. Er schildert tiefgreifende Einschränkungen im Alltag, Reizüberflutung bei Aktivitäten, fehlendes Verständnis im Umfeld und große Herausforderungen im sozialrechtlichen Kontext, z.B. bei Begutachtungen für Erwerbsminderungsrente.
Wirksame Maßnahmen und Empfehlungen
Dr. Schmidt stellt die aktuelle Evidenz vor:
- Bewegung und Kraftaufbau
Regelmäßige, angeleitete Bewegung zeigt in vielen Studien deutliche Verbesserungen von Fatigue und Lebensqualität – selbst bei fortgeschrittener Erkrankung. - Achtsamkeits- und Entspannungsverfahren
Yoga, Qi Gong, Tai Chi, MBSR und Atemübungen senken Stress und wirken positiv auf körperliche Prozesse. - Psychosoziale Interventionen
Verhaltenstherapeutische und psychoonkologische Ansätze unterstützen, Belastungen realistisch einzuordnen, Alltagsstrategien zu entwickeln und den Umgang mit der Erkrankung zu erleichtern.
Lars Krause beschreibt, dass ihm Pacing, Achtsamkeit, Stressreduktion sowie psychoonkologische Unterstützung und der Austausch in der Selbsthilfe nachhaltig helfen.
Einblicke aus der LIFT-Studie
Dr. Schmidt berichtet aus der großen LIFT-Studie des DKFZ:
- 78 Prozent der Patientinnen und Patienten erhalten keine Aufklärung zu Fatigue.
- Über die Hälfte wird nicht aktiv gefragt, ob Fatigue-Symptome bestehen.
- Es fehlt ein strukturiertes Screening, wie es internationale Leitlinien empfehlen.
- Viele Betroffene kennen den Begriff nicht und können dadurch auch keine Hilfe suchen.
- Ärztliche Unsicherheit, Zeitmangel und fehlende Abrechnungscodes erschweren die Versorgung.
Die Studie zeigt konkreten Verbesserungsbedarf: bessere Information, Fortbildung des medizinischen Personals, niedrigschwelligere Angebote sowie klare Ansprechstellen.
Unterstützungsangebote
Empfohlen werden u.a.:
- spezialisierte Bewegungs- und Reha-Programme (z.B. OnkoAktiv)
- Beratungsstellen der Landeskrebsgesellschaften
- zertifizierte Angebote wie „Yoga und Krebs“
- psychoonkologische Unterstützung und Selbsthilfegruppen
Ausblick und Forschungsperspektive
Zukünftig soll stärker zwischen verschiedenen Fatigue-Subtypen unterschieden werden, um gezielter behandeln zu können. Gleichzeitig betonen beide Gäste, dass bereits heute zahlreiche wirksame Maßnahmen existieren, die Betroffene entlasten und stärken.