Leukämie im Alter: Wenn Wissen Angst nimmt
Bärbel Sullivan-Stütz ist eine muntere Seniorin. Sie lebt allein und hat zwei Söhne, mit denen sie ein enges Verhältnis hat. In ihrem Berufsleben war sie einmal Lehrerin und früher auch im Gesundheitswesen tätig.
Im April 2017 hatte Bärbel mehr und mehr mit gesundheitlichen Einschränkungen zu kämpfen. Diese schob die 67-jährige zunächst auf ihr Alter. Irgendwann ging es dann aber einfach nicht mehr und sie suchte ihren Hausarzt auf. Die Diagnose stand bald fest…
Wie äußerte sich die CLL?
Eine chronisch lymphatische Leukämie ist eine langsam schleichend sich entwickelnde Krankheit des Immunsystems und betrifft vor allem Ältere. Gemerkt habe ich es eigentlich vor allem dadurch, dass ich einen starken Leistungsabfall hatte. Ich konnte kaum noch was körperlich machen. Ich habe schlechter gesehen und habe es eigentlich zunächst einmal aufs Alter geschoben. Dann kam Nachtschweiß dazu, und das ist nicht nur ein bisschen Schwitzen, sondern da wechselt man drei-, viermal das Nachthemd nachts, und die Bettdecke ist durchnässt. Und nachdem ich jetzt sowieso schon 67 Jahre alt war, habe ich gedacht, naja, das ist halt das Alter. Ich bin nie darauf gekommen, dass das eine Leukämie sein könnte. Dann kam Gewichtsverlust, anschließend ein Infekt mit einer Sinusitis und wegen der bin ich eigentlich zum Arzt gegangen.
Wie wichtig ist es, ein informierter Patient zu sein?
Eine genauere Diagnose wurde natürlich in der Uniklinik in Ulm gestellt. Und da hatte ich natürlich sehr viel Kontakt zu verschiedenen Ärzten. Ich hatte damals überhaupt keine Ahnung, weder über die Therapie noch über die Medikamente, noch über die Erkrankung. Was ich gemacht habe, ich habe alle gefragt – alle Fragen, die ich hatte – ich habe die Ärzte gefragt, die Onkologie-Krankenschwestern, die normalen Krankenschwestern, jeder, der mir in den Weg kam – auch Patienten. Ich habe einfach meine Fragen gestellt und dadurch wusste ich eigentlich auch immer, was ich wissen musste. Und ich habe mich wirklich sehr gut mit dem Personal und auch mit den Ärzten verstanden. Das war ganz arg wichtig für mich, weil das hat mich sehr entlastet und deshalb hatte ich eigentlich auch nie Angst.
Wie wichtig ist das Verhältnis zwischen Arzt und Patient?
Das Allerwichtigste ist die Beziehung zum Arzt. Das heißt, die Beziehung muss stimmen, man muss Vertrauen zum Arzt haben, man braucht einen Spezialisten, das heißt, entweder einen Hämatologie oder einen CLS Spezialisten – was ja bei mir der Fall war. Aber das ist immer noch die beste Lösung. Denn wenn diese medizinische Seite geklärt ist, dann lebt sie es einfach ruhiger.
Wie kann man mit seiner Angst umgehen?
Es ist praktisch ein Kampf gegen den Krebs! Man gewinnt keinen Kampf, in dem man Angst hat. Das ist einfach so. Diese Angst behindert einen, und es ist besser, sich sachlich damit auseinanderzusetzen, Dinge zu begreifen, warum sie im Körper vorgehen. Ich würde mich auf jeden Fall weniger mit der Krankheit beschäftigen als mit den Heilungsmöglichkeiten, mit den Therapien und auch mit dem, was ich eigentlich will. Weil im Prinzip hat man die Wahl – wenn man jetzt nicht im Endstadium bin, wie ich – zwischen einer beobachtenden Behandlung, dass man zunächst vielleicht gar nichts machen muss oder nur ein Medikament einsetzt oder eben einer zeitlich begrenzten Therapie, die ich gemacht habe. Das sind Dinge, die man auch dann entscheiden muss und die man durchdenken muss. Angst lähmt hier eigentlich nur.
Wie wichtig ist eine Überlebensprognose?
Das hat mich ehrlich gesagt überhaupt nicht interessiert, weil ich denke, Leben ist immer lebensgefährlich, und auch ein Gesunder weiß im Prinzip nicht, wie lange er lebt. Außerdem können Sie nicht vergleichen, wie lange würde ich leben ohne CLL und wie lange lebe ich mit CLL? Es geht einfach nicht. Deswegen habe ich dann wieder nachgefragt.
Wie war die Rückkehr in den Alltag nach der Therapie?
Also nach der Therapie bin ich wirklich in ein Loch gefallen, denn während der Therapie ist man beschäftigt. Ich habe mich auf mein Umfeld konzentriert. Ich habe immer überlegt, wie geht es meinem Umfeld mit meiner Erkrankung, denn die waren ja eigentlich fast noch besorgter als ich und von daher war es eine sehr schwierige Zeit, auch nach der Therapie.
Also ich denke, dass es eigentlich am eigenen Verhalten liegt, wie viel Unterstützung man erhält. Und ich hatte ganz viele Mutmacher während dieser Zeit. Zum einen meine Ärzte, dann natürlich auch Krankenschwestern, Verwandte, Freunde, meine früheren Schüler, Eltern. Und was ich gemacht habe: Ich habe nie gejammert. Ich habe immer gekuckt, wie geht es meiner Umwelt und habe ihnen erzählt, welche Fortschritte ich mache. Das hat eigentlich auch mit meiner Oma zu tun. Ich hatte eine Oma in Berlin, die war 65 Jahre alt und hat jeden Tag geklagt, dass sie doch am nächsten Tag oder vielleicht nächste Woche sterben wird. – Sie ist 90 Jahre alt geworden, das heißt, sie hat 25 Jahre gejammert. Und dann habe ich mir gesagt: Das mach ich nicht!
Wie können Angehörige unterstützen?
Ich denke, dass man viele Dinge nicht abnehmen kann. Wenn sich jemand schlecht fühlt, dann kann man da als Angehöriger wenig machen. Aber was man machen kann, ist, man kann den Kranken begleiten und man kann ihm das Gefühl geben, dass er nicht allein ist, und das ist sehr, sehr wertvoll.
Wie hat die Corona-Pandemie den Alltag mit Krebs verändert?
Kaum hatte ich mein Leben neu eingerichtet, kam diese Pandemiesituation und von heute auf morgen gab es nichts mehr. – Alles, was ich mir aufgebaut hatte, war weg: die Selbsthilfegruppen, die Veranstaltungen, die Gymnastik, alles was ich hatte, war von einem Tag auf dem anderen weg.
Ich habe sehr viel außen Kontakt übers Internet, und ich habe auch viele Veranstaltungen und Kongresse online besucht und habe eben auch Beziehungen zur Außenwelt gesucht. Ich meine, nur daheim gesessen habe ich ganz sicher nicht. Und es hat mir sehr geholfen.
Wie leben Sie heute?
Also inzwischen geht es mir relativ gut – ich kann eigentlich alles machen. Ich gehe zum Friseur, ich gehe zum Essen, ich kann Kaffee trinken, ich bin im Internet unterwegs, ich male, ich schreibe Kurzgeschichten, ich berate Patienten, ich mache ganz viel. Ich nehme an Zoom™-Sitzungen teil. Ich also ich habe ein sehr reiches Leben im Moment, trotz der Pandemie, weil ich viel übers Internet mache. Auch ich habe ganz viele neue Kontakte geknüpft. Das was ich auch nach der Therapie gemacht habe, ich habe meine bestehenden Kontakte darauf überprüft, welche gehalten haben während dieser Zeit und habe neue Kontakte geknüpft. Und deshalb geht es mir relativ gut.
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Dieser Artikel ist ein Beitrag aus der Serie des Awareness-Monats „Blutkrebs“. Weitere spannende Interviews, Artikel und Talk-Sendungen finden Sie in der Übersicht zum Blutkrebs-Monat.
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