„Plötzlich musste ich erwachsen sein“
Wenn junge Erwachsene eine Krebsdiagnose erhalten, befinden sie sich in einer völlig anderen Lebenswelt und haben ganz andere Bedürfnisse als Krebspatienten, die schon älter sind und einen größeren Teil ihres Lebens gelebt haben. Junge Menschen mit Krebs sind in der Berufsausbildung, mitten im Studium, am Anfang einer Karriere, gerade bei den Eltern ausgezogen, haben vor kurzem eine Familie gegründet oder haben vielleicht gerade ein Kind bekommen.
In Deutschland erkranken jedes Jahr 16.500 Frauen und Männer zwischen 18 und 39 Jahren an Krebs. So auch Marieke Steiner, die im Alter von 22 Jahren an Krebs erkrankt ist.
Sie musste einen langen Weg der Ungewissheit gehen und ertragen. Es dauerte fast ein Jahr, bis die Diagnose endlich für Gewissheit sorgte. Marieke war am Hodgkin-Lymphom erkrankt, das ist ein bösartiger Tumor des Lymphsystems.
Ihr geliebtes Leben war auf Stopp gestellt, das Studium musste sie sofort auf Eis legen. Unglaublich viele Dinge waren jetzt zu organisieren, und jede Menge Fragen entstanden, für die Antworten zu finden waren. Weitreichende Entscheidungen waren zu treffen – welche Therapieform sollte gewählt werden, mit welchen möglichen Nebenwirkungen war zu rechnen und die wichtige Frage des Erhalts der Fruchtbarkeit musste intensiv mit der Familie und den medizinischen Experten besprochen werden. Das hieß, von heute auf morgen war sie gezwungen Entscheidungen zu treffen, für die sie dachte, eigentlich noch ganz viel Zeit zu haben.
Es ist ein außergewöhnliches Interview und Marieke besticht mit großer Klarheit, hoher Selbstreflexion und ungeheurem Mut zum Leben – ihre Lebenslust ist ansteckend! Die junge Frau weiß, wovon sie spricht und was sie will. Ihr Kompass ist zu jedem Zeitpunkt auf Leben eingestellt und die Zuversicht und Überzeugung, dass alles gut gehen wird, ist in jedem Moment des Interviews spürbar.
Das Interview zum Nachlesen:
Moderator: Hallo und herzlich willkommen zum Gespräch im Roten Sessel. Jedes Jahr erhalten Tausende junger Menschen die Diagnose Krebs. Da fühlt sich das Leben an wie auf Eis gelegt. Träume werden gestoppt, Lebensentwürfe müssen verändert werden. Leider gibt es für diesen speziellen Personenkreis der jungen Erwachsenen noch zu wenig gezielte Unterstützung. Davon weiß auch unser heutiger Gast zu berichten. Mit nur 22 Jahren wurde bei ihr Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert. Die Zeit der Therapie hat sie stark geprägt und sie wurde schneller erwachsen. Sie sagt: „Ich habe beschlossen, dass ich helfen möchte und durch meine Erfahrungen Mut machen möchte.“ Zwischenzeitlich hat sie eine entsprechende Ausbildung gemacht und ist mit ihrem Coachingangebot qualifiziert darin, anderen Betroffenen wieder zurück ins Leben zu helfen. Davon und aus ihrer Zeit ihrer Erkrankung wird sie uns gleich erzählen. Jetzt freuen wir uns sehr, dass sie heute hier im Roten Sessel Platz genommen hat: Herzlich willkommen, Marieke Steiner!
Marieke Steiner: Vielen Dank, ich freue mich, heute hier zu sein.
Moderator: Marieke, lass uns ein bisschen teilhaben an deinem Leben. Wie war deine Zeit vor der Erkrankung, wie hast du gelebt?
Marieke Steiner: Ja, ich war 22. Das Leben stand vor mir. Ich war Studentin. Es war alles leicht und ist einfach geflossen und es gab nicht wirklich Herausforderungen, die mir entgegenkamen, also es war, (seufzt) ach es war einfach (lacht) sehr entspannt. Es war ein schönes Leben, ja.
Moderator: Wie kam es zur Diagnose Lymphdrüsenkrebs?
Marieke Steiner: Ja, mir ging es ein Jahr tatsächlich nicht gut, also ich war Studentin und ich war immer müde. Aber man sagt natürlich, Studenten sind irgendwie immer müde und in der Vorlesung (lacht) haben alle geschlafen. Deswegen habe ich mir da nicht so die großen Gedanken gemacht, aber es wurde einfach immer schlechter. Und ich habe dann diverse Hausärzte aufgesucht, die immer gesagt haben: Ja, die Psyche, junge Studentin, vielleicht ist ihr alles ein bisschen viel. Aber eigentlich hat mir das Lernen jetzt keine Beschwerden erteilt, also ich war einfach müde. Und dann begann ein starker Husten jeden Morgen, sehr, sehr stark, und ich wurde immer schwächer. Und im Endeffekt, nach diversen Ärzten und Krankenhausaufenthalten, die nie quasi das herausgefunden haben, wo das Problem ist, gab es eines Tages dieses CT, wo ein junger-, ich werde es nie vergessen, ein junger Arzt das CT angeguckt hat und vom Stuhl fast gefallen ist, weil eben der Tumor schon so groß war, durch diese Zeit, über dem Thorax. Der Arzt hat meine Eltern angerufen, weil ich das nicht direkt erfahren wollte, und wir saßen im Auto und meine Mutter sagte: „Oh man, Marieke, das ist jetzt Krebs. Das ist jetzt doch Krebs.“ Und ich dachte einfach nur: Okay, das Auto fährt gerade den Abgrund runter. Ich war mir ganz sicher, es war alles vorbei, also: absoluter Schock. Absolutes Chaos im Kopf. Hilflosigkeit, Ratlosigkeit. Da kriege ich heute noch Gänsehaut. Also ich erinnere mich an diesen Moment sehr gut.
Moderator: Wie geht man damit um, in diesem Moment, das Gefühl zu haben, keinerlei Handlungsoptionen mehr zu besitzen?
Marieke Steiner: Ja, also, es war tatsächlich dann so, dass ich mich relativ schnell wieder gefangen hatte. Ich dachte: Okay, gut, ich muss da irgendwie durchkommen. Ich muss das schaffen. Ich will jetzt nicht sterben. Ich bin so jung, was soll denn das? Das geht gar nicht! Und habe mir dann einfach einen Plan gemacht und gesagt: Nein, okay, gut, dann ist jetzt gerade nicht Studium dran, dann ist jetzt ein neues Programm, Chemotherapie dran. Aber wenn mich das dann wieder gesund macht irgendwie, und ich wieder auf die Beine komme, dann mache ich das. Ich habe mir einen großen Kalender gebastelt mit all den Tagen. Die haben mir ja genau gesagt, wie viel Tage das sein werden, bis die Chemo durchgelaufen ist, und habe mir den an die Tür gehangen und habe jeden Tag abgekreuzt, den ich überstanden habe, tatsächlich auch.
Moderator: 80 Prozent der jungen Erwachsenen und Jugendlichen können heute bei Krebs geheilt werden, und trotzdem gibt es eine Reihe von Langzeitschädigungen, die sie durch die Therapie erfahren.
Marieke Steiner: Genau. Also mit der Unterschrift, dass man eine Chemo bekommt, genau, stehen eine Menge von Risikofaktoren, die mich im Laufe meines Lebens immer begleiten, im Raum, die einem auch noch nicht so wirklich klar sind, was das jetzt eigentlich bedeutet. Man unterschreibt das, weil, was bleibt mir übrig. Man ist nicht wirklich in der Lage, das zu verstehen, was da steht. Da stehen dann so extreme Sachen wie: Das Schlaganfallrisiko steigt, der Herzinfarkt steigt auch noch, und: Kann ich meinen Kinderwunsch noch erfüllen? Habe ich mit Anfang 20 überhaupt schon einen? Ich weiß vielleicht gar nicht, ob ich das möchte, aber auf einmal steht das im Raum, dass ich das eventuell gar nicht mehr kann. Das heißt, da werden mir Entscheidungen genommen, die ich noch nicht mal als junger Mensch für mich definiert habe. Man hat aber auch Krebs, und es ist auch diese Unart, wirklich auch keine Wahl zu haben in diesem Moment, vor diesem Furchtbaren, was da irgendwie kommt, und diese Ungewissheit, was das auch bedeutet, eine Chemotherapie zu bekommen, und was das bedeutet, innerhalb von einem Gespräch erwachsen zu sein, obwohl man eventuell noch recht frisch und jung noch nicht wirklich viel in seinem Leben erlebt hat. Also, man kann das nicht-, das sind so viele Informationen, die als junger Mensch auf einen einprasseln. Man ist vielleicht noch gar nicht richtig in der Lage, sowas zu selektieren, wo man ja gestern noch als Anfang 20jähriger unbeschwert um die Häuser gezogen ist und ist auf einmal in einer Situation, wo man nicht weiß, ob man überhaupt erwachsen und alt werden darf, und kann noch gar nicht auf ein Repertoire zurückgreifen, da richtig zu reflektieren und zu verstehen, was das jetzt eigentlich tatsächlich bedeutet.
Moderator: Welche Pläne oder Träume wurden denn gestoppt?
Marieke Steiner: Mein Studium erst mal irgendwie. Also mit 22 hat man auch irgendwie noch gar nicht so die große Ahnung, was eigentlich auf einen zukommt, halt einfach diese Leichtigkeit im Leben zu haben, einfach leben zu dürfen, ohne sich darüber Gedanken zu machen. Also dieses Thema Krebs war einfach was, was man im Fernsehen gesehen hat und was aber auf jeden Fall nichts mit einem selber zu tun hatte. Und auf einmal war es mein Thema.
Moderator: Hast du das Gefühl gehabt: Hier ist ein Kontrollverlust?
Marieke Steiner: Ja. Ja, großer Kontrollverlust. Man wusste irgendwie, gerade auch vielleicht mit diesem krassen Plan der Chemotherapie-. Ich musste jetzt auch darauf vertrauen, dass sie da wissen, was sie da mit mir machen. Und auch das Thema Haarverlust: Okay, also in drei Tagen fallen Ihnen die Haare aus. So, das wusste ich dann. Okay, das war der Tag und es war tatsächlich (lacht) auch auf den Tag so, dass da Haare im Kissen lagen. Und da dachte ich: Es ist okay, gut, ich habe jetzt gar nichts mehr, also die Kontrolle ist total weg einfach. Und dann auch bei mir-, der Plan der Chemo wurde immer verlängert, weil der Krebs doch stärker war, als sie immer angenommen haben. Und so wurde auch mein Kalender immer länger und am Ende ja auch noch die Bestrahlung, und dann verlor man immer mehr die Kontrolle, weil man gar nicht mehr wusste, worauf man jetzt vertrauen kann.
Moderator: Welche Rolle spielt die Familie in einer solchen Situation?
Marieke Steiner: Die Familie spielt eine Riesenrolle. Also besonders bei mir. Meine Mama war die ganze Zeit an meiner Seite. Die war bei jeder Chemotherapie da. Also mein Vater auch, aber sie hat immer meine Hand gehalten und sie hat mich durch die Zeit getragen, das kann ich wirklich so sagen.
Moderator: War das für deine Mutter besonders schwer? Als Krankenschwester hat sie ja einen anderen Hintergrund zur Erkrankung der eigenen Tochter.
Marieke Steiner: Sie hat das sehr gut getragen, aber für sie war es vielleicht sogar teilweise noch schwerer, weil es die Tochter war. Und ich wusste ja, was mit mir passiert. Und als Krebspatient ist man natürlich auch sehr darauf fokussiert, einfach gesund zu werden, und vielleicht, denke ich manchmal sogar, dass es für die Umgebenden viel schlimmer ist, für die Familie.
Moderator: Jetzt hat man sich mit 22 ja sicherlich schon ein Stück weit von zuhause abgenabelt und braucht jetzt die Unterstützung wieder voll von der Familie. Wird man dann nochmal richtig zum Kind?
Marieke Steiner: Ja. Schon, ja. Ich habe mich da auch komplett zurückgelehnt, also, ja, in den freien Wochen, wo ich nicht ins Krankenhaus musste, saß ich auf dem Sofa und habe mich bekochen lassen, (lacht) habe mich komplett-. Aber ich fühlte mich tatsächlich auch wieder so, nicht wie die junge Frau, die gerade eigentlich studieren sollte, sondern schon ihr kleines Kind, was jetzt eigentlich ihre Hilfe braucht.
Moderator: Hast du zu jedem Zeitpunkt deiner Erkrankung gedacht: Ich schaffe das?
Marieke Steiner: Als es los ging mit der Chemo, war ich mir hundertprozentig sicher: Ich packe das. Ich muss das auch schaffen, nicht nur für mich, sondern auch für alle, die mich kennen, mein Umfeld, für mein Leben, ich kämpfe dafür, ganz hundertprozentig. Zwischenzeitlich hatte sich das-, war es auch schwierig, weil die Diagnose sich verändert hatte und ich mehr kämpfen musste. Es wurde komplizierter und noch herausfordernder, als so etwas sowieso schon ist.
Moderator: Und die Chemo hat ein Stück weit länger gedauert?
Marieke Steiner: Genau, sie hat länger gedauert, also sie wurde verlängert. Und am Ende war die endlich vorbei, und dann musste ich auch noch bestrahlt werden, und wieder dieser Rückschritt, und der Krebs ist immer noch da und der will einfach nicht gehen. Da den Kopf oben zu halten, ist schon herausfordernd. Da habe ich mir aber auch eingestanden, dass es auch mal okay ist. Aber als es dann zum Ende hin ging und ich wusste, okay, die letzten Bestrahlungen laufen an, war es okay, weil: Ich habe das geschafft, ich schaffe das jetzt auch noch. Ich gehe hier nicht jetzt so, das ist zu früh. Ich lebe noch. Und ich werde noch leben.
Moderator: Viele Krebserkrankte erzählen, dass sie viel Kraft dafür aufwenden mussten, ihr Umfeld zu stützen.
Marieke Steiner: Ja, genau. Es ist tatsächlich so. Man vergisst sich selber manchmal sogar, dass man-, man möchte stark für die anderen sein, obwohl es um einen selber geht. Man ist sehr reflektiert. Man weiß ja, was man da gerade tut. Man kann das ja fühlen. Ich bekomme eine Chemo, ich weiß, wie sich das anfühlt. Aber jemand, der neben mir sitzt, sieht mich nur leiden und kann das vielleicht auch nicht richtig nachempfinden. Natürlich, niemand kann das. Und deswegen ist man stark für andere, ja, tatsächlich.
Moderator: Welche Rolle spielen Freunde bei einer Krebserkrankung?
Marieke Steiner: Zu Beginn der Diagnose spielen sie eine große Rolle, das heißt, ich habe allen was davon erzählt, weil ich das loswerden musste. Große Anteilnahme, große Angst auch, die da einem entgegen gestrahlt ist, und im Laufe der Zeit tatsächlich-, bei mir war es immer weniger. Also, das war so anstrengend eben auch, dass die da nicht folgen konnten, also sind sie teilweise auch bewusst nicht. Mir wurde damals gesagt, dass es sehr wichtig ist, dass man den Freunden die Entscheidung lässt, ob sie einen begleiten möchten. Und da gab es auch große Enttäuschungen und dass man das so erfahren musste, und dass sie einem ganz offen gesagt haben: Es tut mir leid, dass du Krebs hast, aber ich kann dich an dieser Stelle nicht mehr begleiten, und sich ganz bewusst abgewandt haben. Und ich brauchte den Fokus einer Person einfach, die aber an meiner Stelle geblieben ist, und das war dann halt die Familie, die sich eben nicht abgewandt hat nach dieser Zeit, die ja auch lange war. Also es war ja auch ein langer Weg und, ja, tatsächlich schwierig mit den Freunden.
Moderator: Kannst du verstehen, dass es solche Reaktionen gibt?
Marieke Steiner: Ich kann es verstehen, weil Krebs Angst macht. Auf der anderen Seite ist es schwierig natürlich auch als jemand, der vielleicht auch eine beste Freundin hatte zu dem Zeitpunkt, die dann auf einmal sagt: „Ich kann das nicht. Ich kann das nicht. Das ist für mich nicht tragbar mehr. Ich kann nicht dabei zusehen, wie du eventuell sterben wirst.“ Ich, die jetzt da durchgegangen bin, würde so nie entscheiden, aber natürlich ist es für jeden die-, also jeder hat die Entscheidung, so mit umzugehen, wenn er es nicht kann, natürlich.
Moderator: Was denkst du, was ist ein Kraft spendender und angemessener Umgang für jemand, der im Umfeld einen Betroffenen mit Krebs hat?
Marieke Steiner: Zuhören. Ihn aktiv wirklich wahrnehmen. Also es hilft manchmal auch nicht, einen sehr zu bemitleiden und zu sagen: Oh mein Gott, es tut mir so leid. Und manchmal möchten die Menschen auch einfach nur reden. Es bewegt sie auch nicht nur der Krebs, sondern es bewegt sie auch-, das Umfeld verändert sich, man kann nicht mehr zur Arbeit, man kann nicht mehr zur Uni. Und vielleicht möchte man auch einfach sich darüber mal aufregen und sagen: Mann, das ist so unfair. Also es geht nicht nur darum, dass ich jetzt gerade vielleicht die Haare verliere, sondern es geht um so ganz normale Sachen wie: Ich kann jetzt einfach nicht mehr zu Rossmann gehen oder so. Einfach zuhören und den Leuten Raum bieten, und das fände ich sehr wichtig.
Moderator: Pro Jahr erkranken in Deutschland circa 15.000 junge Menschen an Krebs, die ja ein ganz spezielles Unterstützungsangebot benötigen. Was hat dir gefehlt?
Marieke Steiner: Einfach, dass jemand da ist und versteht, dass ich ein junger Mensch bin, aber schon wirklich was Furchtbares erlebt habe, und nicht so funktionieren kann, wie es vielleicht von einem jungen Menschen einfach mit Anfang 20 erwartet wird. Aber die Schwierigkeit ist eben, das der Gesellschaft auch irgendwie zu kommunizieren und verstanden zu werden und dass mich da vielleicht mal jemand an die Hand genommen hätte und gesagt hätte: Komm, wir machen das jetzt vielleicht auch mal zusammen, es gibt die und die Hilfsangebote: Was können wir da tun im Endeffekt? Die Haare kommen wieder und dann sieht man normal aus, aber es ist nicht mehr so wie vorher. Und in dem Moment, wo man vielleicht auch nicht mehr krank aussieht, ist es vielleicht auch für das Umfeld schwierig, zu verstehen, dass es einem aber auch trotzdem nicht gutgeht. Und tatsächlich dann immer wieder so mit der Betonung: Ja, ich hatte Krebs, um Verständnis einzuholen, einzufordern tatsächlich auch, ist dann schon auch sehr anstrengend.
Moderator: Ist die Diskrepanz deshalb so groß, weil man wieder gesund aussieht, dass einem etwas völlig anderes attestiert wird?
Marieke Steiner: Ja. Ja. Ich sehe gesund aus, ich sehe ganz normal aus wie vorher, es hat sich nicht wirklich was verändert, außer die Narben, die ich irgendwo trage, wo sie keiner sieht, und die könnten auch von irgendwas anderem kommen. Und das Verständnis, dass man gesund aussieht und absolute Panik und Todesangst haben kann in einem Hörsaal, das passt natürlich nicht, das ist komisch. Das wirkt nicht dann richtig authentisch. Und dann halt die Frage, ob ich jetzt wirklich wieder krank aussehen muss, um da gehört zu werden tatsächlich.
Moderator: Wie lebst du heute? Wie gestaltet sich dein Alltag?
Marieke Steiner: Ich habe mein Studium abgeschlossen und dann bin ich 30 geworden an einem Montag, das war schon genug, (lacht) und habe dann tatsächlich reflektiert und beschlossen: Nein, diese Sache war für etwas gut, dass ich das bekommen habe. Ich möchte daraus was machen. Und ich habe da jetzt sehr viel zu geben, weil ich eben das einmal war, und heute prägt es mich noch und ich habe so viel Input. Ich kann daraus was machen. Ich möchte jetzt mit Menschen zusammenarbeiten, die gleiche Erfahrungen gemacht haben wie ich, und möchte meine Erfahrungen teilen und ihnen zurückhelfen: Wie können sie ihre Kräfte jetzt nochmal sammeln und diesen Weg gehen? Und sie zu stärken und zu bestärken und ihnen auch einfach aktiv zuhören, darum geht es eben ganz besonders, dieses aktive Zuhören, wirklich zu hören: Was hat dieser Mensch zu sagen, was bewegt ihn gerade?
Moderator: Was gefällt dir an der neuen Marieke besonders gut?
Marieke Steiner: Ich habe meine Berufung gefunden. Es ist mein Herzensding. Ich bin mal krank gewesen, ich hatte Krebs und also möchte ich helfen. Und ich denke, das ist-, darüber bin ich sehr stolz, dass ich meinen Weg gefunden habe und das Beste daraus gemacht habe für mich.
Moderator: Was hast du durch die Krebserkrankung verloren, und was hast du gewonnen?
Marieke Steiner: Verloren würde ich gar nicht mal sagen, dass ich wirklich was verloren habe, sondern es hat sich etwas verändert. Verloren, wenn man das so sagen möchte, mein altes Leben, so wie es vielleicht verlaufen wäre, wenn ich nicht krank geworden wäre, der alte Weg, der mal da war, aber gewonnen einen wunderbaren neuen Weg. Ich habe so viel Stärke aus dieser Krankheit gezogen .Der Mensch, der ich heute bin, wäre ich sicherlich nicht geworden, wenn ich nicht Krebs gehabt hätte. Und ich habe auch durch den Krebs so viele neue Leute kennengelernt. Der Weg meines Lebens hat sich so verändert und dieser neue Lebensweg, den habe ich gewonnen und über den bin ich unheimlich dankbar, dass der am Ende so gekommen ist.
Moderator: Marieke, wir sind am Ende unseres Interviews angelangt. Ich wünsche dir für deinen Weg, für diesen ganz speziellen Weg das Allerbeste. Das war sehr beeindruckend, deine Geschichte heute zu hören und dich zu erleben. Alles, alles Gute und auf ein gesundes Wiedersehen.
Marieke Steiner: Vielen Dank.
Awareness-Monat
Blutkrebs
Dieser Artikel ist ein Beitrag aus der Serie des Awareness-Monats „Blutkrebs“. Weitere spannende Interviews, Artikel und Talk-Sendungen finden Sie in der Übersicht zum Blutkrebs-Monat.
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