Vor der Diagnose Krebs
Uli Roth sagt:
Mein Bruder war der Erstdiagnostizierte und für ihn war es eine Schockdiagnose, er wollte eigentlich zu einer Magen-Darm-Spiegelung, die ich ihm empfohlen hatte, weil wir doch sehr viel Vorsorge schon immer gemacht hatten, auch schon zu der Zeit urologische Untersuchungen hatten. Und bei dieser Magen-Darm-Spiegelung und Blutabnahme kam dann beim PSA-Wert ein überaus hoher Wert heraus, wo der damalige Urologe sich schon Sorgen gemacht hatte. Dann kam das Prozedere erst mal des Abwartens, des Nachprüfens mit der später dann folgenden Diagnose über die Biopsie eben zum Karzinom in der Prostata. Ja, und dann war erst mal Alarm im Schacht, wie man bei uns sagt, annehmen, erst mal verdauen, informieren vor allem, dann auch Internet. Dann Persönlichkeiten treffen, andere Menschen, die das gleiche Schicksal getroffen haben. Und dann anfangen, sich damit zu beschäftigen, wo man und wie man diesen Tumor beseitigen kann. Also mein Vater hatte schon Prostatakrebs und zwar zwei, drei Jahre vorher und hatte diesen durch eine intensive Bestrahlung behandelt bekommen. Aber mein Vater war dann schon auch damals 75, oder 78 sogar, da war so die erste Nähe. Wobei wir das, wir als junge, dynamische noch geltende und gesund geltende Männer ja nur auch so am Rande verfolgt haben, nie in der Annahme, dass uns das treffen könnte. Und durch das, dass wir ja schon beim Urologen waren und die Vorsorge immer gemacht hatten und bisher die PSA und die Ergebnisse gut waren, dachten wir erst mal nicht an eine eigene Krebserkrankung. Ja, gut, ich habe den ganzen Prozess mit meinem Zwillingsbruder durchlebt, also von der ersten Sekunde ab habe ich auch tierische Ängste mit ihm ausgestanden, habe ihn aber auch psychologisch mitbetreut und wir haben sehr viel Zeit zu der Zeit zusammen verbracht. Ich habe ihn natürlich auch mitbetreut in Sachen: Wie informiert man sich? Wie geht man das Thema an? So war ich ja schon in dem ganzen Prozess automatisch mit integriert. In der Nachbetrachtung kann ich mich an ein Telefonat erinnern, wo mein Bruder mir in einem Nebensatz, aber für ihn bestimmend, für mich aber so ein bisschen nicht so richtig wahrgenommen, er mir erzählt hat, dass der Professor sofort gesagt hat: „Du hast einen eineiigen Zwillingsbruder, schick den mal gleich zum Urologen.“ Und ich war ja damals 2009 im Januar erst bei meiner Routineuntersuchung mit leicht erhöhtem PSA, aber nie besorgniserregend. Dass es mich treffen kann als eineiiger Zwillingsbruder, die Sorge hatte ich dann auch, weil wir in der Regel unsere Krankheiten immer geteilt haben. Aber dass es dann so schnell kam, das war dann für mich, aber auch für die Mediziner kaum erklärbar. Also mein Bruder wurde Ende März diagnostiziert, 2009, und ich dann im Juni 2009. Also mein PSA-Wert ist damals im Januar von 1,3 dann auf 3,6 hoch in so kurzer Zeit. Das war dann auch sehr schnell klar, dass mich auch das gleiche Schicksal dann einholt. Also bei meinem Bruder trifft es zu hundert Prozent zu, weil er vollkommen unerwartet, unvorbereitet, wie bei vielen anderen Krebsdiagnosen dann auch, betroffen war. Bei mir war es dann der schleichende Prozess, wissend, mich ereilt das auch und ich werde die gleiche Krankheit haben, bei mir mit der Erkenntnis, alles das schon dann durch ihn gewusst zu haben, auch natürlich den Prozess der Operation, auch der Reha. Weil in seinem Reha-Programm, das ja dann im Juli 2009 war, kam meine Enddiagnose und so wusste ich schon, was auf mich zukommt. Also ich war ja bei ihm im Krankenhaus am Tag der OP, habe ihn da auch eine Woche lang begleitet damals in Hamburg. Und dann wusste ich, ich werde das alles auch in kurzer Zeit genauso durchleben wie er. Wenn ich es mir heute raussuchen könnte, würde ich den Prozess für mich genauso noch mal lieber als Zweiter haben, mit der Erfahrung, zu wissen, was kommt auf mich zu. Bei meinem Bruder waren natürlich sehr viele ungeklärte Fragen: Kommt Chemo? Fallen die Haare aus? Kann es zum Tod führen? Die Ängste, die er durchlebt hat, die habe ich mit ihm durchlebt, aber nicht als Betroffener erst mal, sondern nur als betroffener Zwillingsbruder, der seinen Bruder wahnsinnig liebt und ihm natürlich helfen und moralisch aufbauen will. In der Rolle habe ich mich ja damals gesehen und nicht selbst als Betroffener.
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