Einen Weg finden – trotz Querschnitt und Krebs
Benjamin Lenatz ist 36 Jahre jung, verheiratet mit seiner sympathischen Frau Frauke und ist gebürtig aus dem Bergischen Land. Ein Leben ohne Sport ist für ihn nicht mehr vorstellbar und dies, obwohl er im Jahr 2003 folgenschwer verunglückte. Sein Leben, so sagt er, wurde im Alter von 18 Jahren durch den Querschnitt auf Links gedreht. Seine bisherige Lebensgeschichte ist geprägt von extremen Herausforderungen, die kaum für uns alle vorstellbar sind. Man fragt sich schon: Wie geht das – wie kann man das Bewältigen und dabei so lebensfroh wie Benjamin sein?
Bewundernswert ist, wie erfolgreich er sich zurück ins Leben gekämpft hat und auf diesem Weg den Spitzensport für sich entdeckte: 13 Jahre hat er in der Bundesliga und Nationalmannschaft Basketball gespielt. So entdeckte er in weiterer Folge den Triathlon für sich und löste kurzerhand seinen Bausparvertrag gegen ein Hand-Bike ein.
Im Januar 2020 war er im Trainingslager auf Lanzarote und wollte sich für die Paralympischen Spiele für Tokio qualifizieren, als er bemerkte, dass etwas mit seiner körperlichen Verfassung nicht stimmt. Es ging ihm täglich zunehmend schlechter. Nach Rücksprache mit seinem Arzt brach er das Training ab und flog nach Hause. Ein paar Tage später kam es bei der Besprechung mit den Ärzten vom Universitätsklinikum zum zweiten schwerwiegenden Einschnitt in seinem jungen Leben: Es wurde eine CML, eine chronisch myeloische Leukämie diagnostiziert. Heute weiß er, dass die Therapie noch mindestens zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen wird.
Woher er diesen ungebrochenen Lebenswillen und seine ansteckende Lebensfreude bezieht, erfahren wir im Interview mit Stephan Pregizer. Dafür konnten ihn mit einem besonderen Drehort in Berlin überraschen und ihn sichtlich begeistern. Benjamin erzählt aus seinem Leben, von seinen Höhen und Tiefen und seinen Plänen. Im Gespräch wird sichtbar, dass er Traurigkeit in sich trägt, aber zugleich auch Mut und Hoffnung. Wir erleben einen sensiblen, sehr reflektierten CancerSurvivor, der sich jeden Tag auf großartige Weise wieder zurück ins Leben kämpft und höchste Bewunderung und unsere volle Wertschätzung für seine Haltung und das Geleistete verdient.
Das Interview zum Nachlesen:
Moderator: Ganz herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von „Ein Gespräch im roten Sessel“. Der rote Sessel hat heute seinen Platz an einem ganz besonderen Ort gefunden und das nicht ohne Grund. Denn unser Gast ist ein begeisterter Sportler und was er anfasst, wird schnell vergoldet. Gleich begrüßen wir Benjamin aus dem Bergischen Land. Mit dem Drehort haben wir ihn überrascht. Er hatte keine Ahnung, wohin die Fahrt geht. Und gerade hat er die Tür zum Set geöffnet. Die Überraschung ist gelungen: Wir sind im Berliner Olympiastadion für unser Interview zu Gast. Benjamin ist 36 Jahre jung und seine bisherige Lebensgeschichte ist geprägt von extremen Herausforderungen, die kaum für uns vorstellbar sind. Man fragt sich schon: Wie geht das? Wie kann man das bewältigen und dabei so lebensfroh sein, wie er das ist? 2003 wurde sein Leben, so sagt er, durch den Querschnitt auf links gedreht. Er hat sich zurück ins Leben gekämpft und dabei den Sport für sich entdeckt. 13 Jahre war er Spitzensportler und hatte in der Bundesliga und der Nationalmannschaft Basketball gespielt. Danach entdeckte er den Triathlon für sich und löste seinen Bausparvertrag gegen ein Hand-Bike ein. Der zweite Einschnitt in sein Leben kam im Januar 2020 mit voller Wucht. Als bei ihm eine chronische, myeloische Leukämie CML diagnostiziert wurde. Heute weiß er, dass die Therapie noch zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen wird. Woher er diesen ungebrochenen Lebenswillen und seine ansteckende Lebensfreude bezieht, das wollen wir jetzt von ihm erfahren. Ganz herzlich willkommen. Schön, dass du da bist, Benjamin Lenatz.
Benjamin Lenatz: Danke, danke. Schön, hier zu sein in diesem unfassbaren Stadion mit dieser unfassbaren Atmosphäre.
Moderator: Jetzt möchte ich dich erstmal fragen: Wie ist das denn, wenn man hier olympische Luft einatmet? Wie geht es dir? Welches Gefühl überkommt einen da?
Benjamin Lenatz: Das ist ein Kribbeln, das ist ein freudiges Gefühl und natürlich der Wasserstand in den Augen wird schon höher.
Moderator: Jetzt bist du 36 Jahre jung. Wie war dein Leben vor deiner Krebsdiagnose?
Benjamin Lenatz: Mein Leben war immer mit viel Freude verbunden, mit viel Bewegung, mit viel, viel Sport und einem ganz, ganz großen Ziel, mit einem wunderbaren Team an der Seite, was da war und mich immer unterstütz hat.
Moderator: Du hast 2020 in einem Trainingslager auf Lanzarote einen Zustand erreicht, der nicht so als gut zu bezeichnen war. Was ist da genau passiert?
Ich war mit meinem Trainer auf Lanzarote, nachdem ich für mich entschieden habe, ein Jahr mich wirklich völlig auf die Paralympischen Spiele vorzubereiten, um das große Ziel auch wirklich erreichen zu können. War in einem Leistungsstand, den ich bis dato nie erreicht hatte. Also in einem wirklich guten Status und brauchte noch so ein richtig gutes Rennen, vielleicht ein zweites, um das Ziel Paralympische Spiele zu erreichen. Ich habe einfach gemerkt, mein Körper kämpft innerlich mit irgendwas. Ich habe dann irgendwann nachts gesagt: Jetzt reicht es. Wir müssen ins Krankenhaus. Ich habe zu viel Flüssigkeit verloren. Da muss mal geguckt werden, was denn da wirklich ist. Und nach so drei Tagen habe ich gemerkt: Okay, es ging mir zwar so besser, dass ich wieder normal essen konnte und alles, aber sobald wir eine Bewegung angestrebt haben, war es halt unfassbar anstrengend. Ich habe mich müde gefühlt. Und dann habe ich mit meinem Hausarzt mich kurzgeschlossen und irgendwann hat er zu mir auch gesagt: Jetzt wäre es, glaube ich, gut, wenn Sie nachhause kommen. Und hab dann so gedacht: Hm, jetzt fliegst du nachhause mit einem kleinen Wehwehchen, aber du weißt es eigentlich irgendwie nicht. Du wärst eigentlich lieber weiter auf der Insel und würdest das große Ziel nicht aus den Augen verlieren. Weil unterbewusst habe ich schon gemerkt: Da ist irgendwas, was nicht zu greifen ist. Und dann bin ich nachhause geflogen und mein Hausarzt hat mir dann, direkt morgens bin ich da hin, Blut abgenommen. Und montags hat er mich angerufen und hat gesagt: Sie fahren jetzt sofort ins Uniklinikum nach Köln. Und bin dann dageblieben und habe dann eine Woche mehr oder weniger dort verbracht mit Blutuntersuchungen. Und donnerstags abends war das den Ärzten wohl bekannt, dass es halt eine CML ist. Und sie haben es mir dann am 14. Februar, am Valentinstag, gesagt. Und ich habe meine Frau halt nur eine Nachricht geschrieben, habe gesagt: Ich habe CML. Und dann war sie schon auf dem Weg. Und ja, man fragt immer: Dieses Gefühl, was passiert da, wenn einer sagt okay, du hast Krebs. Oder in dem Fall CML. Ist ja in Anführungszeichen die beste Form, die man sich so aussuchen kann. (Moderator: Sind drei Buchstaben.) Genau, sind drei Buchstaben. Es ist irgendwie gar nichts Dolles, aber da ist irgendwie dieser gewisse Aufzug, der anfängt zu fallen und er fällt und er hört nicht auf zu fallen.
Moderator: Hast du bei dem Begriff Leukämie sofort an Krebs gedacht?
Benjamin Lenatz: Eigentlich gar nicht.
Moderator: Wusstest du, dass es mehrere Formen von Leukämie gibt?
Benjamin Lenatz: Nein, in dem Augenblick nicht. Ich hatte auch natürlich so Leukämie, so das Erste war: Okay, du hast jetzt hier definitiv eine krasse Chemo vor dir oder eine Stammzellentransplantation eventuell. Das war schon das. Die DKMS kam mir in den Kopf. Was man jetzt tun muss, um mir dann auch irgendwie helfen zu können, um auch weiter bei meiner Frau lange bleiben zu dürfen. Das war aber so dieses Wort Krebs- war da noch gar nicht so tief verankert, sage ich jetzt mal.
Moderator: Wie war das als du für dich realisiert hast, ich habe Krebs?
Benjamin Lenatz: Unreal, ungreifbar in dem Moment. Weil ich gedacht habe: So mies kann doch keiner sein, jemandem zwei so große Baustellen zu geben. Und wenn das so tatsächlich sein soll, dann nehme ich das an und arbeite mich da jetzt durch und versuche, diese Krankheit in den Griff zu kriegen.
Moderator: Wie war das als du zum ersten Mal mit deinen Liebsten darüber gesprochen hast?
Benjamin Lenatz: Meine Frau, die war eigentlich sofort parat. Und das Erste, was ich gemacht habe, war tatsächlich eine Nachricht verfasst an Familie und auch Freunde. Und habe die informiert. Vor allem die, die mir am engsten nahestehen. In dem Moment habe ich nicht sprechen können. Wie soll ich selber da über irgendwas sprechen, was ich selber noch nicht angenommen habe. (Moderator: Was einen sprachlos macht.) Ja, absolut.
Moderator: Am 23. März 2003 war dein Motorradunfall. Was genau ist passiert?
Benjamin Lenatz: Ich bin früher mit einem Quad Motocross gefahren und bin an der Talsperre entlanggefahren und in den Gegenverkehrt geraten. Dabei habe ich mir den ersten Lendenwirbel gebrochen und wurde dann in Bochum im Bergmannsheil operiert und habe da auch meine Reha-Maßnahmen gemacht, um wieder fit für den Alltag zu werden im Rollstuhl.
Moderator: Wie ist das, wenn man zwei Mal in seinem jungen Leben mit der Zerbrechlichkeit des Körpers konfrontiert wird?
Benjamin Lenatz: Es relativiert viele Dinge. Die Zerbrechlichkeit- man sieht wirklich, wie kurzweilig bestimmte Dinge sein können. Und für mich muss ich sagen und bin da auch so drangegangen: Okay, ich habe jetzt einmal einen Schicksalsschlag hinter mir und ich versuche zumindest das, was ich da gelernt habe, auch wenn ich da erst 18 war, trotzdem ein bisschen zu adaptieren und zu versuchen, das zu übernehmen, was mir damals geholfen hat. Wobei das einfach nochmal eine ganz andere Baustelle ist. Zerbrechlichkeit trifft es wirklich auf den Punkt. Das ist so wichtig, den Moment zu genießen und den Moment einfach mal aufzusaugen. Den Moment auch in einem Stadion zu sitzen und einfach zu sagen: Was für eine Ehre, da zu sitzen, wo Weltmeister und Olympiasieger ihre Erfolge gefeiert haben. Und das ja, lerne ich aktuell wirklich mit am meisten. Und das vielleicht zum zweiten Mal, vielleicht aber jetzt erst richtig.
Moderator: Was wiegt schwerer? Der Motorradunfall oder die Leukämie?
Benjamin Lenatz: Definitiv die Leukämie. Weil sie einfach so absolut unberechenbar ist. Die Querschnittslähmung hat auch ihre Begleiterscheinungen, die einfach behandelt werden müssen und die bei mir auch nicht ohne waren. Aber die Leukämie ist- also es gibt einen Tag, da wache ich morgens auf: Oh, mir geht es super. Alles perfekt. Habe ich irgendwas? So ungefähr. Und dann kann es aber vier Stunden später sein, dass ich komplett im Eimer bin und einfach eine Stunde pennen muss. Ich lerne diese gewissen Momente besser zu leben und die Perspektiven dann mal zu ändern. Und das ist, glaube ich, schon eine wichtige Tugend, die ich jetzt mir aneignen kann. Auch für alle um mich herum, dass das auch entspannter wird.
Moderator: Wie schaut denn dein Erfolg gegen die Leukämie aus?
Benjamin Lenatz: Also meine letzten Gespräche der Ärzte waren eigentlich nochmal sehr wichtig und sehr gut. Die mir einfach nochmal aufgezeigt haben, der erste Step ist erreicht. Wir haben die Leukämie im Griff und das ist das Wichtigste, das Leben zu erhalten. Und alles was jetzt kommt, müssen wir jetzt noch gestalten. Das heißt, jetzt kommt der nächste Step. Wir müssen die Nebenwirkungen in den Griff bekommen und das, sage ich mal, ist jetzt Ziel Zwei. Und danach kommen natürlich die großen Ziele, wo man dann sagt: Okay, man will sein altes Leben so ein bisschen zurückhaben. Auch die sportliche Beweglichkeit. Die Dinge, die man mit Freunden macht, die jetzt schon auch immer mit- jetzt wieder möglich sind, Gott sei Dank. Aber mit viel Gedanken auch zu tun haben. Ich meine, so ein Querschnitt hat bestimmte Nebenwirkungen auch. Blase, Darm, die einfach auch betroffen sind. Und wenn dann Medikation dazukommt, die das Gleiche nochmal verschlimmern, überlegt man sich drei Mal: Okay, geht man jetzt überhaupt raus oder nicht? Ich mache mir da schon Gedanken dazu. Oder mir geht es einfach schlecht, ich bin müde, die ganzen typischen Nebenwirkungen, die solche Chemotherapeutika mit sich bringen. Im besten Falle kann ich irgendwann die Therapie pausieren oder abbrechen und bin dann frei von der Therapie. Im schlechtesten Fall bleibt halt, ich sage mal, mein Lebensretter, die aktuelle Medikation, der Begleiter von mir. Aber da darf ich noch bisschen solche Dinge wie hier erleben und mit netten Leuten zusammensitzen.
Moderator: Benjamin, hast du immer einen Plan im Leben?
Benjamin Lenatz: Das scheint immer so, wenn ich das eine oder andere Gespräch führe, aber es gab weitaus in den letzten zwölf Monaten viele Momente, wo ich planlos oder aktuell auch einfach gewisse Pläne nicht zu erreichen scheinen, die ich mir so ausmale.
Moderator: Was hilft dir denn? Und was gibt dir die größte Kraft, immer wieder sich den Aufgaben, den Herausforderungen und auch der Krankheit zu stellen?
Benjamin Lenatz: In erster Linie wirklich die Leute um einen herum. Bei mir ist es meine Frau. Sie gibt die Kraft und macht Spaß und man muss wissen, welche wichtigen Eckpfeiler für einen da sind, die einen unterstützen.
Moderator: Darf man sagen: Ich habe trotzdem das Gefühl, dass dein Leben in Ordnung ist?
Benjamin Lenatz: Also mittlerweile würde ich es betiteln. Aber es ist aktuell schon auch noch hart, das würde ich auch nicht verneinen. Aber das Wichtige ist: Die wichtigsten Leute, die um mich herum sind, sind da und unterstützen mich. Und darauf kommt es irgendwo an.
Moderator: Was würdest du anderen Leukämie-Patienten mutmachender Weise mit auf den Weg geben wollen?
Benjamin Lenatz: Jeder schwere Tag lohnt sich, denn es kommen trotzdem auch an diesem schweren Tag absolut schöne Momente. Man muss sie nur erkennen. Und das ist die Schwierigkeit in den Augenblick einfach daran. Und ich glaube, ob man jetzt in der Klinik sitzt, gerade die Chemo bekommt oder gerade transplantiert ist und wirklich in einem Raum sitzt und niemand darf zu einem kommen. Trotzdem kommen die Schwestern und das ist- mit denen hat man Kontakt. Und auch da entstehen häufig sehr gute Gespräche. Vielleicht auch nicht zu viel sich auf die Krankheit selber konzentrieren, sondern auf die Dinge, die einem guttun, zu konzentrieren.
Moderator: Benjamin, wir sind am Ende unseres Interviews angelangt. Ich möchte mich herzlichst bedanken. Du bist ein echter Mutmacher und hast ein großartiges Beispiel gesetzt, wie man auch mit einem Handicap, mit einer schweren Erkrankung umgehen kann. Alles Liebe für dich und alles Gute. Und ich bin auch sicher, dass wir uns wiedersehen.
Benjamin Lenatz: Das hoffe ich. Danke.
Awareness-Monat
Blutkrebs
Dieser Artikel ist ein Beitrag aus der Serie des Awareness-Monats „Blutkrebs“. Weitere spannende Interviews, Artikel und Talk-Sendungen finden Sie in der Übersicht zum Blutkrebs-Monat.
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