Abschied in Stille: Letzte Momente geteilt
Man spricht inzwischen von einer stillen Revolution in der Krebstherapie, weil sich in den letzten Jahren die Prognosen für Krebspatienten deutlich gebessert haben. Doch für viele ist der Tod aufgrund der Erkrankung trotzdem jeden Tag allgegenwärtig und irgendwann bleibt nicht mehr viel gemeinsame Zeit. Wenn ein geliebter Mensch stirbt, mobilisieren Angehörige oft ihre letzten Kraftreserven. Für sie können ambulante Palliativteams, eine psychosoziale Unterstützung oder die Verlegung des Sterbenden in ein Hospiz wohltuend sein.
Wie erlebten Sie den Moment des Sterbens?
Zurück zum Themen-Special "Angehörige"Wir haben in einem gemeinsamen Schlafzimmer geschlafen, nur dass er neben unserem Ehebett ein Pflegebett hatte. Wir haben uns abends noch immer die Hand gestreichelt und am Tag bevor er nachts gegangen ist, verfiel er wieder in eine Art komatösen Zustand. Aber was aber noch schlimmer war, er hat eigenartige Geräusche von sich gegeben. Das hat mir dann wirklich auch Angst gemacht. Da wusste ich, jetzt wird es ernst und ich komme nicht mehr an ihn ran. Dann habe ich erst mal dafür gesorgt, dass unsere Tochter von Freunden in die Kita gebracht wird, damit sie das nicht erlebt, weil ihr das ja auch Angst macht. Heute im Nachgang würde ich das vielleicht anders machen, aber damals war das für mich die richtige Entscheidung. Ich habe dann Gerhards ältere Töchter, die aus erster Ehe hatte, angerufen und gesagt: Wenn ihr euch noch verabschieden wollt, dann müsst euch ihr jetzt ins Auto setzen und kommen. Und dann haben wir, ich mit der einen Tochter, die kam, an seinem Bett gesessen und uns unterhalten, haben ihn gestreichelt, haben mit ihm geredet, haben mit uns geredet, sind auch mal kurz rausgegangen. Es wird ja gesagt, dass manche Sterbende das lieber alleine tun wollen. Also es war so ein Wechsel und irgendwann wurde es Abend und dann bin ich auch ins Bett gegangen und habe ihn noch mal gehalten und gestreichelt. Und dann drehte ich mich um und wollte die Nachttischlampe ausmachen. Und als ich mich wieder zurückgedreht habe, war Stille und es war klar, jetzt ist er eingeschlafen. Da war ich für ihn froh, dass er es geschafft hat. Und als er eingeschlafen war, lag ich neben ihm im Bett. Das war wirklich eigenartig das muss man erst mal begreifen, dass es so still ist und keiner atmet. Aber ich war ja darauf vorbereitet und dadurch war das okay. Ich habe dann seine Tochter geholt, wir haben dann das Hospiz angerufen, weil der Palliativarzt den Tod feststellen musste. Wir haben ihn dann gemeinsam gewaschen und dann habe ich in mich rein gehorcht. Wie ist das jetzt? Was macht man jetzt? Da wird aus dem Menschen plötzlich eine Leiche. Also da ist keine Seele mehr drin das ist nicht mehr die Person und das war für mich schwer ertragbar, dass er da jetzt noch weiter liegt. Deswegen haben wir dann auch das Bestattungsunternehmen angerufen. Das hatte ich schon vorher alles klar gemacht, weil ich da spezielle Vorstellungen hatte und sicher sein wollte, ich rufe die dann an und dann klappt das auch alles. Ich habe dann noch Freunde angerufen, weil mir auch klar war, dass ich das nicht ertragen kann, wenn er im Sarg rausgetragen wird. Und sie kamen, haben das mit dem Bestattungsunternehmen geregelt. Währenddessen waren seine Tochter und ich in der Küche. An was ich mich noch erinnere ist, dass ich am Tag danach meine Tochter aus dem Kindergarten abgeholt habe und ihr das sagen musste. Und die war damals sechs Jahre alt und hat wie ein Kind das tut ganz offen und natürlich reagiert. Sie hat gleich gesagt: Kann ich ihn noch mal sehen? In diesem Moment wurde mir klar: Mist, meine Tochter konnte sich gar nicht so richtig verabschieden. Sie hat die letzten Momente zwar mitbekommen und wir haben auch vorher drüber geredet, aber so richtig bewusst Abschied nehmen konnte sie nicht. Und da habe ich mich ein bisschen geärgert, dass ich das nicht zugelassen habe und habe deshalb gesagt, wir machen eine Aufbahrung. Also es war klar, dass Gerhard verbrannt werden wollte und wir haben eine Trauerfeier gemacht, in der er noch mal aufgebahrt wird. Und das habe ich nur für meine Tochter gemacht, damit sie noch mal Abschied nehmen kann.
Jana Lindner
- person Jana Lindner
- group Angehöriger
-
Mehr erfahren: