Kontrollverlust versus Lebensdurst
Aus Lust zum Leben – als junger Mensch den Krebs besiegen
Mit 23 Jahren Diagnose „Hodgkin Lymphom“. Franziska Krause sagt, darüber zu sprechen, habe sie wieder handlungsfähig gemacht. Mit beeindruckender Offenheit und Klarheit beschreibt die Berliner Studentin im Gespräch mit Stephan Pregizer die wichtigsten Stationen ihrer Krebserkrankung, die immer eine völlig individuelle Erfahrung ist. Mit einer faszinierenden Reflexionsfähigkeit spricht sie von ihrer Diagnose, Therapie und Heilung und zeigt auf, wie sie heute als einer von ca. 4 Millionen CancerSurvivorn lebt.
Das Interview zum Nachlesen
Moderator: Herzlich Willkommen Franziska Krause. Erzähl uns doch bitte deine Geschichte. Wie war dein Leben vor der Krebserkrankung?
Franziska Krause: Ich bin hier in Berlin-Neukölln aufgewachsen, also waschechte Berlinerin. Bin hier zur Schule gegangen, hab mich dann auch dazu entschieden hier in Berlin mit dem Studium weiterzumachen. Und hab also ein ganz unbekümmertes, relativ zielorientiertes Leben geführt.
Moderator: Welche Auffälligkeiten gab es damals, die dich dazu veranlasst haben zum Arzt zu gehen?
Franziska Krause: Wenn ich jetzt zurückblicke, dann merke ich so eine gewisse Müdigkeit und Erschöpftheit, die mit nichts zu vergleichen ist. Ich bin tagelang nicht aus dem Bett gekommen, bei zehn Stunden Schlaf, bei acht Stunden Schlaf.
Moderator: Und das nicht, weil du jeden Abend im Karaoke Club warst?
Franziska Krause: Nicht weil ich jeden Abend im Karaoke Club war. Aber das war es, was ich erst dachte. „Ich bin Studentin, ich bin müde, seit ich mit dem Studium angefangen habe.” Also so habe ich das wahrgenommen und ein bisschen gehört das ja auch dazu, müde zu sein wenn man die Nacht vorher gelernt hat natürlich. Ich habe dann Ende September einen vergrößerten Lymphknoten entdeckt am Hals und bin einfach zur Ärztin hin und bin mehr oder weniger direkt ins Krankenhaus überwiesen worden. Relativ schnell war klar, das muss raus genommen werden, es muss geguckt werden, was das ist. Dann, als der Arzt es aussprach und „Lymphom” sagte, fragte ich – völlig aus allen Wolken fallend – „also Krebs?”. Weil es so entfernt war von der Realität die ich gelebt habe und dann merkte er selber erst, was er da eigentlich zu mir sagt. Er fing gleich an das typische Programm runter zu rattern: Hodgkin Lymphom, sehr gute Heilungschancen. Aber ehrlich gesagt, hab ich dann schon gar nicht mehr zugehört.
Moderator: Wie hast du versucht, diese unverrückbare Tatsache in dein Leben zu integrieren?
Franziska Krause: Am Tag der Diagnose musste ich jedes Mal anfangen zu weinen und als ich dann nach Hause kam, daran erinnere ich mich sehr gut, stellte ich mich dann vor den Spiegel und hab so oft gesagt „Ich habe Krebs” bis ich aufgehört habe zu weinen. Bis die Tränen nicht mehr kamen. Und hab da zum ersten Mal gemerkt, wenn ich das schaffen kann, dann schaffe ich den Rest auch.
Moderator: Franziska, wie geht man damit um erstmal scheinbar keinerlei Handlungsoptionen zu haben?
Franziska Krause: Ich hab relativ schnell gemerkt, dass darüber zu sprechen mich handlungsfähig macht.
Moderator: Kannst du verstehen, dass es Menschen gibt, die eine Krebsdiagnose bekommen und nicht darüber sprechen?
Franziska Krause: Ich kann sehr verstehen, dass Menschen sich da schützen wollen und denken „Ich sag es nicht, dann muss ich mich auch nicht mit den Reaktionen konfrontieren”.
Moderator: Wie war das für deine Eltern? Konnten deine Eltern das aussprechen: Unsere Tochter hat Krebs?
Franziska Krause: Das ist ein Thema, da wird mir heute auch noch immer ganz mulmig, wenn ich darüber nachdenken muss, dass meine Eltern es auch ihren eigenen Eltern erzählen mussten. Ich stelle mir das sehr grausam vor. Mir gegenüber waren die beiden sehr offen und kommunikativ, sehr interessiert daran mit mir zu sprechen und es nicht zu verheimlichen. Nicht so zu tun, als wär nichts.
Moderator: Was für eine Anmutung ist das, wenn man gerade mal 23 Jahre jung ist, das ganze Leben vor sich hat und schlagartig mit der eigenen Begrenztheit und Zerbrechlichkeit konfrontiert wird?
Franziska Krause: Ich erinnere mich noch sehr gut an den Tag der Diagnose, als ich im Zwiegespräch war und darüber gesprochen hab wie das so sein wird. Ich habe mich nur als Person imaginieren können, die das schon durchgemacht hat. Ich glaube das ist eine Sache, die mir sehr schmerzlich bewusst geworden ist sobald die Chemotherapie angefangen hat, wie wenig ich mit 23 davon wusste, was krank sein bedeutet. Was es heißt, die Treppen nicht mehr hochzukommen. Nicht nur körperlich, sondern auch die Tage nach der Chemo den Kopf so leer zu haben, dass ich gar nicht sprechen möchte, weil ich gar nichts zu sagen habe.
Moderator: Übernimmt die Krankheit da das Sagen in deinem Leben?
Franziska Krause: Total! Es ist wie auf Pause drücken und alles andere geht weiter. Alle anderen Menschen leben ihr Leben weiter. Auch die, die total für mich da sind, leben trotzdem ihr Leben weiter und mein eigenes Leben fühlt sich wie mit einem extra schweren Rucksack an. Also auch das, was sowieso schon nicht läuft, ist auch noch schwerer.
Moderator: Du hast gesagt, du bist zuhause wieder eingezogen während deiner Erkrankung und deine Eltern haben sich um dich gekümmert. War das ein ganz normales Verhältnis oder gab es da neue Situationen, wo du gemerkt hast, da spricht jetzt eine andere Franziska zu euch, liebe Eltern, die es vorher so nicht gab?
Franziska Krause: Ich glaube es ist sehr schwer aushaltbar zu sehen, dass auch ich irgendwann nicht mehr stark bin und das mit zu gehen ohne zu versuchen mich aufzumuntern. Es gab auf jeden Fall mehr als einen Moment, als ich gebeten habe, ich brauche kein „Du schaffst das!”, sondern „Du darfst jetzt Weinen, du darfst jetzt traurig und wütend sein”.
Moderator: Welchen Traum hast du immer wieder geträumt, weil er dir möglicherweise sehr viel Kraft gegeben hat?
Franziska Krause: Mein kleiner Cousin, der heiratet, oder mein Patenkind, was geboren wird. Das sind die Momente, in denen ich am meisten Angst hatte, mich am meisten gesorgt habe, weil diese Vorstellung nicht da zu sein sehr schmerzvoll war. Das sind Dinge, die mich immer sehr motiviert haben. Vielleicht ist das nicht unbedingt ein Traum aber es waren schon Momente in denen ich realisiert habe, das möchte ich noch, dafür mache ich das!
Moderator: Ganz viele Krebserkrankte haben ja berichtet, dass sie sehr häufig die ganze Kraft, die sie haben, dafür verwendet haben, es anderen leicht zu machen darüber zu sprechen.
Franziska Krause: Für mich war es eine ganz starke, wichtige Realisierung das Darüber-Sprechen nicht zu verschönern und nicht so zu tun…
Moderator: …als ob es das nicht gäbe?
Franziska Krause: Genau! Beziehungsweise habe ich schon gemerkt, dass ich Dinge verschönere um andere zu schützen. Oder sage, eigentlich ist alles gut. Das war auch ein sehr wichtiger Prozess zu lernen, sich das rauszunehmen zu sagen, „nein, mir geht es schlecht”. Ich glaube eine der schmerzvollsten Erfahrungen für mich war tatsächlich eine Art Kontrollverlust, weil mir schnell klar wurde, was ich nicht mehr alles kontrollieren kann. Mir wurde auch bewusst, was für eine Illusion das auch schon vorher war, dass ich etwas kontrollieren kann. Ich merke, dass es auch eine neu gefundene Freiheit ist, zu verstehen, ich kann so viel planen, wie ich will. Morgen kann es schon vorbei sein. Das klingt so abgedroschen, aber es geht gar nicht um das tatsächliche Ende oder meinen Tod. Sondern morgen geht es mir vielleicht nicht gut genug um etwas zu machen und das ist dann auch okay. Was ich oft auch auf schmerzliche Weise verstehen musste ist, dass das Thema Krebs so eine kollektive Erfahrung ist, so ein öffentliches Gut. Ich fühlte mich oft davon überfordert oder war irritiert, wie ich vermischt wurde mit der Idee, was es heißt Krebs zu haben, was gut für mich ist. Ich erinnere mich an so Sachen, wie „die Glatze wird dir stehen, du musst dir keine Sorgen machen!”. Und ich dachte nur, ich mache mir keine Sorgen. Jede Person soll ihre Krankheit selbst so annehmen, wie sie will. Wenn eine Person über das Ausfallen der Haare am traurigsten sein will, dann soll es so sein.
Moderator: Franziska, warum hast du diese Location ausgesucht? Ist Karaoke oder Singen ein gutes Mittel, um zu gesunden?
Franziska Krause: Weil das Singen und dabei Rumgrölen und sich „trashig” verhalten im Sinne von, das trashigste Lied auszusuchen, dafür gefeiert zu werden, dass es schon wieder die Spice Girls sind.
Moderator: Du bist gerade 26 geworden vor wenigen Tagen. Nochmal herzlichen Glückwunsch dazu. Ist dein Leben, wenn du heute darauf schaust in Ordnung, wie es ist? Würdest du sagen, es ist ein gutes Leben?
Franziska Krause: Ja, total. So viele Dinge, die seitdem passiert sind und ich gehe davon aus, das wird auch noch so bleiben, bedeuten mir so viel, sind so bereichernd. Genauso auch zu wissen, das schon geschafft zu haben, können nicht viele Menschen von sich behaupten. Ich bin eigentlich auch glücklich, dass das nicht viele machen müssen, aber das gibt mir eine Ruhe oder Coolness in manchen Momenten, die mir ganz gut gefällt.
Moderator: Wie reagieren denn die Menschen im Alltag auf die neue Franziska?
Franziska Krause: Ich glaube, wenn du meine Eltern fragst, würden die antworten, so neu ist die gar nicht. Aber es gibt ganz viele Menschen die erstmal erstaunt sind. Wenn ich sagen würde was zur neuen Franziska gehört, dann sich auseinandersetzen mit der Krankheit, darüber sprechen und dies auch einfordern und da bekomme ich die unterschiedlichsten Reaktionen. „Vergiss es doch, ist jetzt vorbei und alles wieder in Ordnung. Warum redest du noch darüber?” Damit kann ich gar nichts anfangen und äußere dann auch sehr klar, dass das nicht der Weg ist, den ich gehen möchte.
Moderator: Was würdest du anderen Betroffenen raten?
Franziska Krause: Ich hab im April 2014 die Chemo beendet und hab im Oktober 2014 das Studium wieder aufgenommen. Das war ein halbes Jahr. Noch ein Jahr zu warten hätte mir auch nicht gepasst. Es gibt keinen richtigen Zeitpunkt. Und als ich es gemacht habe, war es der richtige Zeitpunkt, weil ich es gemacht habe. Mutig sein und sich trauen.
Moderator: Du hast während der Therapie gesagt „Schlimmer geht immer”. Warum gerade dieser Satz?
Franziska Krause: Ich sehe in so vielen Geschichten, die ich seither gehört habe Dinge, die mich so beeindrucken, wie Menschen es geschafft haben. Ich stelle mir immer die Frage, wie wäre ich damit umgegangen. Ich finde da passt dieses „Schlimmer geht’s immer”, auch wenn es platt klingt, total gut.
Moderator: Heidi Sand hat uns berichtet, dass sie am tiefsten Punkt ihres Lebens den Entschluss gefasst hat zum höchsten Punkt der Erde zu gehen. Sie hat den Mount Everest bestiegen.
Franziska Krause: Wow, das ist nicht wie ich meine Krankheit bearbeite. Es ist so schön zu sehen, wie eine Person aus der Krankheit und dem eigenen Hobby so eine Symbiose schaffen kann. Dass es so heilsam wird, das ist völlig beeindrucken.
Moderator: Was macht einen CancerSurvivor aus?
Franziska Krause: Was uns alle vereint ist, eine Erfahrung, die so einschneidend und unkontrollierbar ist, dass sie überfordert und das war es auch schon. Ab dann sind wir alle wieder Individuen, die anders mit der Krankheit umgehen müssen und können. Jedes Mal wenn ich mich mit anderen Krebsbetroffenen austausche, gibt es Momente, wo ich denke, wow das müssen wir uns nicht erklären. Das ist das Schöne an unserem Gespräch. Genauso gibt es Momente wo ich denke, das war gar kein Thema für mich. Darin auch einen Wert zu sehen, das ist total cool.
Moderator: Welche Pläne hast du? Was steht als Nächstes an?
Franziska Krause: Die klassischen Ziele, wie Heirat, kann ich mir nicht so gut vorstellen. Was ich mir wünschen würde, wäre ein kleines Gärtchen mit mehreren Personen, Kollektiv gedacht, mit eigenen Kartoffeln und so.
Moderator: Wir sind am Ende unseres Gesprächs angekommen und ich sage ganz herzlich, Danke Franziska, fürs Teilen, fürs lebendig machen deiner sehr besonderen Geschichte. Für den persönlichen Einblick in dein junges, bisher doch auch sehr bewegtes Leben. Dankeschön Franziska.
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- person Franziska Krause
- coronavirus Hodgkin-Lymphom
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