Einer der aufbaut und nicht aufgebaut werden muss
Er ist ein richtig cooler Typ und wenn er sagt, „dass er große Freude und Spaß am Leben hat und zeigen möchte, dass es auch nach einer Kehlkopfoperation gut weitergehen kann“, dann glaubt man ihm das sofort. Der heute 67-jährige Thomas Müller ist Sprecher von „Palatina“ und engagiert sich in einer Selbsthilfegruppe für Kopf-Hals-Operierte in Rheinland-Pfalz.
Im Interview mit Stephan Pregizer erzählt er von seiner großen Leidenschaft, dem Motorradfahren. Er war auch einige Jahre Präsident eines Motorradmarkenclubs und kam dadurch viel in der Welt herum. 1981 erhielt er in jungen Jahren die Diagnose Krebs und erkrankte 25 Jahre später erneut daran. Thomas macht Mut, wenn er sagt, dass die Stimmprothese dabei wenig Raum in seinem Leben einnimmt. Sie gehöre einfach zu ihm. Heute lebt er anders, fährt gerne in den Urlaub nach Italien, treibt viel Sport und kocht am liebsten zusammen mit seiner Lebenspartnerin.
Er ist ein rundum sympathischer Typ, hat viel erlebt und auch kräftig gelebt. Sein Leben hat sich durch den Kehlkopfkrebs verändert, eingeschränkt fühlt er sich aber nicht dadurch.
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Das Interview zum Nachlesen
Einleitung:
Herzlich willkommen zu einem neuen Beitrag unserer Reihe: Ein Gespräch im Roten Sessel CancerSurvivor. Gleich haben wir Thomas zu Gast. Er erhielt zweimal die Diagnose Kehlkopfkrebs und lebt seit 2006 mit einer Stimmprothese. Er ist ein ausgesprochen lebensfroher und humorvoller Typ und engagiert sich aktiv in der Selbsthilfe. Seine Leidenschaft gehört seit vielen Jahren den Zweirädern. Früher war er auch mal Präsident eines Motorradmarkenclubs. Davon und aus seinem abwechslungsreichen Leben wird er uns gleich berichten. Inmitten vieler Exponate hat er jetzt im DDR-Motorradmuseum Platz genommen auf dem roten Survivor Chair. Herzlich willkommen Thomas Müller. Thomas, sei so lieb, erzähle uns Deine Geschichte. Wie war Dein Leben vor der Krebserkrankung?
Thomas Müller: Ja gut, als junger Mann, wenn einem mit dreiundzwanzigeinhalb diese Diagnose widerfährt, hat man vorher normal gelebt mit Hobbys wie Autofahren, Billardspielen, samstags abends, freitags abends weggehen.
Moderator: Bist Du als leidenschaftlicher Motorradfahrer in Deinem Leben immer mit vollem Tempo mit hoher Geschwindigkeit durchs Leben gegangen?
Thomas Müller: Eher weniger. Ich wäge eigentlich immer eher ab, als dass ich mich in irgendetwas voll hineinstürze, wobei das natürlich auch vorkommt.
Moderator: Wie kam es zur Diagnose Kehlkopfkrebs?
Thomas Müller: Ich war ein paar Tage heiser, da macht man sich ja keine Gedanken. Irgendwann nach ein paar Tagen sage ich, also da stimmt etwas nicht und jetzt gehst du vielleicht doch einmal zum Arzt. Und der HNO hat mich dann angeschaut, also mit einem Spiegel in den Kehlkopf reingeschaut und hat dann im Prinzip gleich gesehen, dass da etwas nicht so ist, wie es sein sollte. Er hat mich dann direkt in die Klinik verwiesen und dort habe ich dann die Diagnose bekommen, ja, das ist ein Kehlkopfkrebs, der sich an den Stimmbändern abgespiegelt hat.
Moderator: Was löst das bei einem dreiundzwanzigjährigen jungen Mann aus, wenn er die Diagnose bekommt, sie haben Krebs?
Thomas Müller: Gut, das ist ein riesengroßes schwarzes Loch, in das man hineinfällt und der Boden unter den Füßen wird dir weggezogen und die unabänderliche Frage, warum gerade ich, die kommt so eigentlich bei jedem-. Obwohl das ja eine Sache ist, die ich heute-, aus der heutigen Sicht sage, warum willst du solche Fragen stellen. Das sind Fragen, die niemand beantworten kann. Es ist einfach wie es ist. Ich war dann auch direkt nach der Diagnose super aggressiv, Das hat meine ganze Umwelt gespürt, dass ich halt fürchterlich sauer war eigentlich im Prinzip auf mich selbst. Auf meinen Körper, auf den, ich nenne es einmal, auf den Kadaver, der dann nicht funktioniert hat, wie er funktionieren soll.
Moderator: Wenn Du zurückschaust, welche Augenblicke aus der Therapie sind für Dich besonders in Erinnerung geblieben?
Thomas Müller: Gut, man hat das eben hingenommen, dass jetzt eine Operation ansteht. Im Januar war die erste Operation, also die Entfernung von dem linken Stimmband und im Juli war die Entfernung vom zweiten Stimmband. Ich bin dann irgendwann im Oktober/November zur Reha nach Bad Reichenhall und das war dann schon ein ziemlicher Schock, weil dort eben geballt solche Menschen waren, die das gleiche Schicksal hatten wie ich. Und ich kam in den Speiseraum hinein und meine Stimme war zwar ähnlich wie jetzt durch das Entfernen der Stimmbänder, also mit einer gewissen Heiserkeit, aber ich konnte noch ohne diesen Digitalverschluss sprechen, also ganz normal im Prinzip. Und da kam ich in diesen Speiseraum und habe nur gehört Ruktussprache. Also diese Rülpssprache, wo der Electrolarynx, also diese Geräte, die man an den Hals hält, die dann wie so ein Roboter sich anhören. Das war so dieser erste Schock, kann man schon fast sagen. Und gleichzeitig eigentlich auch eine Erfahrung, ein Glück, also dieser Kelch von Kehlkopfentfernung ist nochmal an dir vorüber gegangen, bis mich diese Diagnose dann nochmal getroffen hat.
Moderator: Du hast viele gute Jahre gehabt, bis dann vor 13 Jahren die Diagnose neuerlich festgestellt wurde. Wie verarbeitet man so etwas?
Thomas Müller: Das war eigentlich schlimmer als die erste Diagnose, wenn ich das jetzt so Revue passieren lasse, weil man eben-. Man hat dieses Damoklesschwert Krebs eigentlich von der ersten Diagnose an über einem schweben. Jede Erkältung, jedes Zipperlein, was man hat, denkt man, oh, was könnte da jetzt wieder dahinter stecken. Diese Midlife-Crisis, wenn man so will, ging los und dann habe ich mir wieder ein Motorrad gekauft, was ich jetzt über 20 Jahre nicht hatte. Und bin dann in das Motorradgeschäft, wenn man so will, eingestiegen und habe dann ein ganz anderes Leben geführt. Und das war dann befreit und ohne irgendwelche Gedanken. Und dann trifft dich in dieser Situation, wo du quasi dich neu orientierst, trifft dich diese Diagnose. Und das nach 25 Jahren. Zu dem Zeitpunkt habe ich dann fürchterlich geweint, nach dieser Diagnose.
Moderator: Hast Du gewusst, Thomas, was mit dieser Diagnose an Konsequenzen verbunden ist?
Thomas Müller: Selbstverständlich. Ich wusste, dass, wenn der Kehlkopf raus muss, dass dann eine sprachliche Rehabilitation nicht einfach sein wird und dass der Weg verlegt ist. Dass ich also nicht mehr im gleichen Weg atme, wie ich esse und dass das eine Riesenumstellung sein würde, natürlich, selbstverständlich.
Moderator: Was ist ein denkbarer und möglicher Umgang mit einer solchen schwerwiegenden Diagnose?
Thomas Müller: So offen wie möglich und einfach und nicht versuchen, das Ganze zu beschönigen oder Mittel auszudrücken. Und das bringt dich überhaupt nicht weiter.
Moderator: Wie hast Du es damals Deiner Familie gesagt?
Thomas Müller: Es hilft nichts, zu sagen, ja ich bin nicht krank oder ich habe nur eine Erkältung oder es-. Die Wahrheit, in Anführungszeichen, kommt ja doch irgendwann heraus. Also muss ich da meine Lieben damit auch konfrontieren und muss ihnen reinen Wein einschenken und zwar möglichst schnell und sehen, dass ich mit der Familie und mit Freunden und Bekannten damit klar komme.
Moderator: Welche Reaktion hast Du aus dem unmittelbaren Umfeld von Familie und Freunden erhalten?
Thomas Müller: Ja, Bestürzung ist eigentlich das, was es am besten trifft. Es ist ja nie in der eigenen Familie oder man selbst, sondern es sind immer andere, die davon betroffen sind. Wenn es dich dann selbst trifft, dann beschäftigt man sich zwangsläufig damit.
Moderator: Hast Du erlebt, dass Menschen aus Deinem persönlichen Umfeld sich von Dir entfernt haben, sich distanziert haben?
Thomas Müller: Nein, also Gott sei Dank nicht und auch die Reaktionen von der Umwelt waren dann, na ja, teilweise hilflos auch. Was sage ich jetzt einem Menschen, der mir sagt, du, ich habe Krebs. Es ist schon nicht einfach, damit umzugehen als Gegenüber.
Moderator: Hast Du Dich an die Erfahrung dieser Reha, die so viele Jahre zurück lag, daran erinnert?
Thomas Müller: Ja selbstverständlich. Vor allen Dingen wusste ich eben auch, welche Konsequenzen das hat, wenn der ganze Kehlkopf entfernt wird durch meine medizinische Vorbildung. Und ich bin dann in die Klinik und der Chefarzt hat mir dann gesagt, ja, da setzen wir eine Stimmprothese ein, acht Tage nach der Operation. Nach dem Einsatz dieser Stimmprothese kam dann der Chef ins Zimmer und sagte, so jetzt schauen wir mal, wie das mit dem Sprechen funktioniert. Und ich habe den angeguckt, wie die sprichwörtliche Kuh, wenn es blitzt und habe gedacht, also ich weiß, wie das ist, wenn man keinen Kehlkopf mehr hat. Also Sprache ist dann im ersten Moment absolut unmöglich. Dann kam er her und hat dieses Ventil mit dem Finger verschlossen und sagte, jetzt sage einmal etwas. Ich habe den angeguckt und habe gesagt, ja was. Und in dem Moment, wo ich sage, ja was und höre mich selbst sprechen, das war ein Moment, den ich kaum fassen konnte.
Moderator: Mit welchen wesentlichen Einschränkungen lebt man als Betroffener ohne Kehlkopf?
Thomas Müller: Die Einschränkungen halten sich eigentlich, Gott sei Dank, in Grenzen. Es ist eben, die Atmung ist begrenzt. Man muss eine gewisse Technik sich erarbeiten, um atmen und sprechen zu können. Ansonsten lebe ich ein ganz normales Leben. Da mache ich mir keine Gedanken, dass ich jetzt, in Anführungszeichen, behindert bin.
Moderator: Wie kamst Du zur Selbsthilfe, wie war Dein Weg?
Thomas Müller: Irgendwie hat mir das Spaß gemacht, mich für die Selbsthilfe zu engagieren, was letztendlich für mich selbst, für mein Ego, sehr sehr gut ist, weil, wenn ich zu einem Patienten komme, der mit der Familie da sitzt und ist völlig am Boden zerstört durch diese Diagnose und ich komme dahin als jemand, der dieses lebende Beispiel eben darstellt, wie es hinterher weitergehen kann. Und diese Gespräche ziehen sich manchmal über zweieinhalb, drei Stunden und letztendlich geht man dort hinaus und man merkt, wie den Angehörigen und auch dem Betroffenen selbst ein ganzer Sack voll Steine vom Herzen fällt und die sagen, Mensch, wenn das so weitergeht, ja dann, so schlimm ist es ja dann auch nicht. Das ist also auch für mich selbst eine unheimlich schöne Situation, jemandem wieder gezeigt zu haben, du, das ist zwar eine schlimme Diagnose, aber mach das Beste daraus.
Moderator: Wie haben Deine Motorradkollegen und Freunde auf Deine Erkrankung reagiert?
Thomas Müller: Im Großen und Ganzen eigentlich genau so, wie man sich das wünscht, nämlich mitfühlend, aber nicht bemitleidend.
Moderator: Thomas, welche Reaktionen erfährst Du im Alltag auf Dein Handicap?
Thomas Müller: Erwachsene sind eben von ihrer Art her schon eher zurückhaltend und sind dann, wenn sie sehen, da stimmt irgendetwas nicht, der ist nicht nur erkältet, sondern der hat etwas und dann sind die schon eher zurückhaltend. Und ich frage dann auch teilweise, kann ich ihnen helfen, möchten sie irgendetwas wissen. Ich bin ja da relativ offen, was diese Art von Kommunikation angeht. Dadurch, dass ich in der Selbsthilfe eben sehr engagiert bin, möchte ich eben auch, dass die Leute wissen, um was es da geht.
Moderator: Wie soll man mit der Situation umgehen, dass es jemanden gibt, der eine Krebserkrankung gerade diagnostiziert bekommen hat?
Thomas Müller: Wenn ich normal damit umgehe und das Gegenüber das Bedürfnis hat, sich mir mitzuteilen oder einen Rat von mir jetzt verlangt, dann sollte man das zulassen und sollte ein offenes Ohr haben, gerade wenn das Freunde, Bekannte oder sonst etwas sind.
Moderator: Was hat Dir wieder Kraft gegeben, aufzustehen und weiter zu leben?
Thomas Müller: Nach der Erfahrung der ersten Krebsdiagnose denke ich mir, wo eine Tür zu geht, geht mit Sicherheit eine andere auf. Und wenn ich das Revue passieren lasse, wäre ich als 20jähriger glücklicher gewesen als Masseur und Physiotherapeut. Diese Hypothesen, was wäre wenn, mache ich mir nicht. Ich nehme das so wie es ist und versuche, das Beste daraus zu machen.
Moderator: Fällt es Dir schwer oder hast Du es lernen müssen, Dich mehr abzugrenzen und an der einen oder anderen Stelle auch einmal deutlich nein zu sagen?
Thomas Müller: Die Erkrankung gibt dir eigentlich den Anstoß dazu, zu sagen, nein, das möchte ich nicht. Da kommt jemand und setzt sich neben mich und ist hier noch frei, dann sage ich ja, selbstverständlich, setzen sie sich hin. Und er sitzt und fängt dann irgendein Gespräch mit mir an und dann kann ich auch schon einmal sagen, Entschuldigung, ich habe keine Lust auf Gespräche, ich möchte einfach nur frühstücken. Und das muss der Andere letztendlich auch akzeptieren und ich akzeptiere das selbstverständlich auch. Und man lernt sich besser abzugrenzen.
Moderator: Wer ist Dein Fels in der Brandung?
Thomas Müller: Jemanden zu finden, der so wirklich 100 Prozent hinter dir steht und 100 Prozent zu dir steht, mein Fels in der Brandung ist meine Partnerin, die Susanne. Das ist einfach ein Mensch, der mir alles gibt, was ich brauche.
Moderator: Thomas, warum hast Du dich entschieden, Deine Geschichte öffentlich zu machen und uns heute für ein Interview zur Verfügung zu stehen?
Thomas Müller: Weil es mir eine Herzensangelegenheit ist, gerade diese Selbsthilfearbeit öffentlich darzustellen. Dass man sich nicht scheuen soll, als jemand, der betroffen ist von der Diagnose Krebs, sich an die Selbsthilfe zu wenden und sich dort Hilfe und Rat zu suchen.
Moderator: Thomas, lass mich sagen, Du machst auf mich einen ausgesprochen aufgeräumten und lebensbejahenden Eindruck. Ist Dein Leben, so wie es jetzt ist, für Dich in Ordnung?
Thomas Müller: Ich lebe mein Leben eigentlich ganz gern, so wie es jetzt ist und auch mit den Aufgaben, die man hat. Das ist das Wichtigste für mich eigentlich überhaupt, dass man eine Aufgabe hat.
Moderator: Gibt es Tage, an denen Du gar nicht mehr an Deine Erkrankung denkst?
Thomas Müller: Die Tage sind nicht selten. Es ist eine Routine, die man hat. Also ich habe den Wechsel von dem Pflaster, also die Hilfsmittelroutine, sage ich jetzt mal, die hat man. Aber wirklich bewusst darüber nachdenken tue ich nicht.
Moderator: Thomas, wir sind am Ende unseres Interviews angelangt. Lass mich ganz herzlich danke sagen. Ich möchte Dir alle Wertschätzung geben und meinen Respekt vor dem, wie Du Dich dieser Krankheit gestellt hast. Vielen, vielen Dank für das da sein.
Thomas Müller: Ich danke Dir für die Einladung. Jederzeit wieder.
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