Selbstdisziplin als Überlebensstrategie
Annehmen und Durchkämpfen – die Zwillinge und der Krebs
Diagnose „Prostatakrebs“, der Musikmanager Uli Roth beschreibt seinen Umgang damit. Nahezu zeitgleich erkrankten die Zwillingsbrüder Michael & Uli Roth 2009 an der mittlerweile häufigsten Krebsart bei Männern: Dem Prostatakarzinom.
Für sie gab es nur einen Weg mit der Schockdiagnose umzugehen, nämlich sie wie einen sportlichen Zweikampf zu betrachten. Die jahrelange Selbstdisziplin wurde hier zur Überlebensstrategie. Therapie und Operation waren erfolgreich, beide sind zurück im Leben, nach 5 Jahren Remission gelten sie heute als geheilt. Im Interview mit Stephan Pregizer berichtet Uli Roth vom Umgang mit Krebs und erzählt u.a., wie seine Bandkollegen der Musikgruppe PUR damit umgegangen sind. Mit 54 Jahren steht Uli Roth wieder Mitten im Leben und ist vor kurzem sogar noch einmal Vater geworden.
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Das Interview zum Nachlesen
Einleitung:
Unser heutiger Gast war schon in vielen Talkshows zu sehen. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder hat er viel dazu beigetragen, dass Männer offener und besser über Krebsfrüherkennung und Krebsprävention sprechen können. 2009 erkrankten die Gebrüder Uli und Michael Roth nahezu zeitgleich an der mittlerweile häufigsten Krebsart bei Männern, dem Prostatakarzinom. Die Therapie und Operation war bei beiden, bei Uli und Michael, erfolgreich. Nach fünf Jahren Remission gelten sie beide heute als geheilt. Ich freue mich sehr, dass einer von ihnen heute auf dem roten Survivor Chair Platz genommen hat und unter anderem über sein spannendes Leben als National Handballspieler, Manager der Musikgruppe PUR, aber vor allem als CancerSurvivor sprechen wird. Mit 54 Jahren steht er wieder mitten im Leben und ist vor Kurzem sogar noch einmal Vater geworden.
Moderator: Herzlich Willkommen, Uli Roth.
Uli Roth: Hallo.
Moderator: Uli, sei doch so lieb, erzähl uns deine Geschichte. Wie war dein Leben vor der Krebserkrankung?
Uli Roth: Wir hatten ein wunderbares Leben. Sehr behütet aufgewachsen, mit meinen drei Geschwistern und auch mit meinem eineiigen Zwillingsbruder Michael. Wir waren eine sehr sportliche Familie, mein Vater war ja Basketball-Nationalspieler und Handball Bundesliga Spieler am Ende. So war der Weg über den Sport vorbestimmt in unserer Familie. Schulisch total versagt, alles in den Sport gelegt und in das Leben. Wir haben dann allerdings das Leben gelebt und daraus profitiert, unsere Erfahrungen gesammelt, sodass am Ende doch etwas aus uns geworden ist.
Moderator: Wie kam es zu der Krebsdiagnose?
Uli Roth: Mein Bruder war der erste Diagnostizierte. Für ihn war es eine Schockdiagnose. Er wollte eigentlich zu einer Magen-Darm-Spiegelung, die ich ihm empfohlen hatte. Bei dieser Spiegelung und der Blutabnahme, kam dann ein überaus hoher PSA-Wert (“Prostataspezifisches-Antigen” Anm. d. Red.) raus, mit der späteren Diagnose über die Biopsie zum Karzinom in der Prostata.
Moderator: Du warst der Zweitgeborene und hast die Diagnose “Prostatakrebs” auch als Zweiter erhalten.
Uli Roth: Ich hab den ganzen Prozess mit meinem Zwillingsbruder durchlebt. Ich war ja erst im Januar 2009 bei meiner Routineuntersuchung mit einem leicht erhöhten PSA, aber nie besorgniserregend. Dass es mich auch treffen kann, die Sorge hatte ich dann auch, weil wir unsere Krankheiten in der Regel immer geteilt haben. Aber dass es dann so schnell kam war für mich, aber auch für die Mediziner kaum erklärbar.
Moderator: Wieviel Zeit lag zwischen der Diagnose bei Michael und bei dir?
Uli Roth: Mein Bruder wurde Ende März diagnostiziert, 2009 und ich dann im Juni 2009.
Moderator: Was war die erste Reaktion, die dir durch den Kopf gegangen ist, als der Arzt zu dir gesagt hat “Herr Roth, Sie haben Prostatakrebs”?
Uli Roth: Man denkt immer, da muss sich doch einer getäuscht haben, das Glas irgendwie vertauscht haben. Und Krebs steht ja auch erstmal dafür schwach zu sein. Man ist nicht schwach als Krebskranker, man hat nämlich auf einmal Kräfte und Stärken, die ein gesunder Mensch gar nicht so entwickeln kann. Da spielen dann auf einmal Dinge eine Rolle; dass man sich wieder mit dem Glauben auseinandersetzt. Dieses “Gott sei Dank” war eine Floskel.
Moderator: Uli, im Buch habt ihr es wie folgt beschrieben. Da schreibt ihr “Es war die Diagnose Prostatakrebs, die hat uns getroffen wie ein Blitz an einem Sonnentag”.
Uli Roth: Also bei meinem Bruder trifft das zu 100 Prozent zu, weil er völlig unvorbereitet betroffen war, wie das ja bei vielen anderen Krebsdiagnosen auch so ist. Bei mir war es dann der schleichende Prozess und dann wusste ich, ich werde das alles auch genau wie er, in kurzer Zeit durchleben.
Moderator: Da drängt sich die Frage auf: Ist das leichter zu akzeptieren, wenn der Zwillingsbruder das Prozedere schon durchlitten und durchlebt hat und einem vielleicht sogar als gutes Beispiel voran geht? Oder macht es das schwerer?
Uli Roth: Das ist eine gute Frage. Wenn ich es mir heute aussuchen könnte, würde ich den Prozess genauso lieber als Zweiter haben, mit der Erfahrung zu wissen was auf mich zukommt. Bei meinem Bruder waren natürlich sehr viele ungeklärte Fragen. Kommt Chemo? Fallen die Haare aus? Kann es zum Tod führen? Die Ängste, die er durchlebt hat, die hab ich mit ihm zusammen durchlebt. Nur nicht als Betroffener erstmal, sondern nur als Zwilling, der seinen Bruder wahnsinnig liebt und ihm natürlich helfen und ihn moralisch aufbauen will. In der Rolle hab ich mich damals gesehen und nicht selbst als Betroffenen.
Moderator: Welche Träume wurden als du die Diagnose erhalten hast gestoppt, welche wurden auf Eis gelegt und welche haben dir besonders viel Kraft gegeben?
Uli Roth: Durch den Schock der Diagnose hast du erstmal überhaupt keinen Traum. Du kannst bei einer Krebsdiagnose auch nicht nach vorne denken. Du musst eigentlich von Stunde zu Stunde entscheiden und auch leben. Aber ich glaube, wenn man dann wieder ins Fahrwasser kommt – man hat vieles geschafft und es entwickelt sich positiv – dann kommen die Träume schnell zurück. Und es kommen ein paar neue hinzu.
Moderator: Gab es irgendwann einen Punkt, Uli, wo du gedacht hast “ich schaffe es nicht”?
Uli Roth: Wenn man es mal ganz sportlich sieht, haben wir es angenommen, es analysiert, es auch soweit es ging schnell mit uns selbst ausgemacht und einen straffen Plan entwickelt. Also auch Zeitpläne. Es wurde gesagt: Hier ist die OP, so lange muss ich im Krankenhaus sein, da bleibe ich noch eine Woche in Hamburg, da wird der Katheter gezogen, da setzte ich mich ins Flugzeug und fliege drei Wochen nach Mallorca.
Moderator: Das klingt doch nach sehr viel Selbstbestimmtheit.
Uli Roth: Ja, und auch Selbstdisziplin. Die Disziplin, sich nur in dem Moment um das zu kümmern, was wichtig ist, für jeden auch wichtig sein muss. Man kann auch Trost aufnehmen und es tut einem auch gut, aber das was passiert, muss man mit sich selbst ausmachen.
Moderator: Du hast ja in eurem Buch geschrieben “Ich musste erstmal lernen, das Wort “Krebs” auszusprechen”.
Uli Roth: Es ist ja so, dass bei Diagnose Gesprächen auch die Ärzte das Wort “Krebs” gerne umgehen. Karzinom, Tumor… Dass man jetzt selbst an Krebs Erkrankter ist, muss man erstmal verdauen. Und deshalb ist eine Hürde, das Wort in seinem Sprachgebrauch zu nutzen. Aber Krebs ist Krebs. Wenn du das einmal hattest, bleibst du durch die Krankheit auch geprägt, weil du auf einer Seite bist mit den Krebserkrankten und die anderen sind die Gesunden. Man muss trotzdem versuchen sein Leben positiv zu gestalten und es anzunehmen.
Moderator: Was ist denn die größte Hürde beim Annehmen?
Uli Roth: Das Wichtigste ist erstmal zu sagen: Ich habe es. Ich muss es meinen Liebsten sagen, meinen Freunden, meinen Bekannten und ich muss kein Geheimnis draus machen. Das was innen drin stattfindet, ist wie eine Atombombe und die hemmt, die blockiert und wenn man die zu lange mit sich herumträgt oder nur im kleinsten Kreise ausmacht, das befreit nicht. Ich kann nur jedem die Empfehlung geben offen zu sein damit.
Moderator: Uli, was ist deine Definition eines CancerSurvivors?
Uli Roth: Von der Diagnose des Annehmens, sich die Zeit dafür nehmen. Alles andere mal nicht so wichtig zu erklären. Das ist eine Empfehlung, die ich immer wieder Betroffenen gebe. Dass man es annimmt und durchkämpft. Bis dahin, wo man entweder als ganz gesund gilt oder bis eben das Schlimmste eintreten kann, dass der Krebs einen besiegt hätte; aber bis dahin eben auch noch gelebt hätte. Weil jeder, der den Prozess durchlebt hat, hat sich ja nichts Anderes gewünscht, als weiter zu leben.
Moderator: Nach fünf Jahren Remission giltst du, Uli, aber auch dein Bruder Michael als geheilt. Wie fühlt sich das für euch an?
Uli Roth: Also nach den fünf Jahren haben wir eine Party gemacht. Mit den allerbesten Freunden und der Familie. In der Zeit bis dahin gab es natürlich auch viele Sorgen und Ängste, dass es zurückkommen könnte.
Moderator: Wie lebst du heute? Was machst du?
Uli Roth: Ich bin in meinen Beruf verliebt und mit ihm verheiratet und mit meiner tollen Frau. Meine Lebenspartnerin – jetzt Frau – hat einen Kinderwunsch gehabt, den ich mitgetragen habe. Das ging dann nur auf dem künstlichen Wege, das war die Erfahrung. Wir leben eine neue kleine Familie. Ich bin eigentlich ein sehr zufriedener, glücklicher Mensch im Moment.
Moderator: Jetzt bist du Musikmanager der Popgruppe PUR. Wie hat deine Band damals reagiert, als du gesagt hast “Leute, ich hab Krebs. Ich werde für eine längere Zeit ausfallen”?
Uli Roth: Es gibt ja bei uns zwei Highlander, wie wir es selbst nennen. Das ist Hartmut, Sänger, Frontmann und der, der die Band nach außen repräsentiert. Auf der Bühne ein unfassbar guter Frontmann ist und ein Dirigent der Massen. Und ich bin so der Highlander unter, hinter, neben der Bühne. Ich war immer so der Fels in der Brandung, der Unerschütterbare. Immer als letztes ins Bett, als erstes raus. Das Symbol für “großer, starker Mann”. Und deshalb war es für die Band ein Schock, das habe ich gespürt. Es gab eine besondere Begegnung, die ist auch im Buch beschrieben. Nach der Operation, zehn Tage nach der Krankenhauszeit, war ich in einem Hamburger Hotel und Ingo und Hartmut haben mich besucht. Ich wog damals bestimmt 8-10 Kilo weniger als vorher und das war der Moment, wo ich für mich wahrgenommen habe, sie sehen jetzt einen Kranken. Das war für mich eine Begegnung der besonderen Art und für Hartmut und Ingo denke ich auch.
Moderator: Wir sind ja heute hier auf einem Handballfeld, in einer Handballhalle. Das ist nicht zufällig gewählt, du hast unglaublich viele Titel gewonnen, Olympia, Silbermedaille, deutscher Meister geworden. Wenn du all diese Erfolge nimmst: CancerSurvivor, Vater, Musikmanager oder Handballer. Welcher wiegt am meisten?
Uli Roth: Am Ende bleibt doch immer -das Klingt manchmal banal, aber so ist es eben- die Gesundheit. Die Gesundheit steht für das Leben und für die Lebensqualität, wie kann ich mein Leben leben.
Moderator: Wie und worin hat dich die Krankheit verändert im Sinne von Abgrenzung, auch mal “Nein” zu sagen, wo man früher vielleicht doch auch “Ja” gesagt hätte. Ich zitiere das mal aus dem Buch: “Als Partylöwen waren wir überall dabei, hatten das Gefühl etwas zu verpassen. Wie waren die letzten auf jeder Party, haben meistens das Licht abgedreht. Es war für uns selbstverständlich, die Letzten sein zu müssen, weil es von uns erwartet wurde”. Wie sieht das heute aus?
Uli Roth: Die Auswahl der Partys, auf die man geht hat sich deutlich verändert und reduziert. Das gilt übrigens nicht nur für Partys, sondern auch für Treffen im Freundeskreis. Überhaupt das ganze Time Management hat sich verändert, dass es auch stressige Phasen gibt, aber dann auch wieder die ruhigen Phasen. Die haben wir dann auch, die nehme ich mir auch. Da kann dann auch passieren was will. Was mir gut tut ist die Auswahl der Freunde. Dass mir manche oberflächliche Beziehung oder Freundschaft gar nicht mehr so wichtig ist, wie ich das vorher glaubte und sie dadurch beendet habe.
Moderator: Was hast du durch die Krebserkrankung verloren und was hast du gewonnen?
Uli Roth: Verloren, habe ich, dass ich keinen Samenerguss mehr habe.
Moderator: Man nennt das auch glaube ich “trockenen Orgasmus”.
Uli Roth: Genau, trockenen Orgasmus. Das erinnert mich auch immer wieder, dass das war. Das ist natürlich auch nachhaltig immer noch im Kopf. Und auf der anderen Seite hat es mir einen Erfahrungsschatz gegeben, eine Zäsur in meinem Leben, die in der Nachbetrachtung zum richtigen Zeitpunkt kam. Um jetzt den letzten Abschnitt des Lebens etwas bewusster, nicht ganz so an der Oberfläche schwimmend zu durchleben. Da spielt das Wort “Dankbarkeit” eine große Rolle in unserem Leben. Dankbar zu sein dafür, dass man gesund weiterleben darf. Auch mit dem Bewusstsein, dass es einen treffen kann. Da ist keiner vor geschützt leider Gottes.
Moderator: Uli, wir sind am Ende unseres Gespräches angekommen. Mir bleibt mich ganz herzlich bei dir zu bedanken, dass du dir heute die Zeit genommen hast uns so offen über deine Erkrankung, aber auch über dein Leben einen Einblick zu gewähren. Vielen lieben Dank. Dir persönlich alles Gute, das war ein schönes Wiedersehen.
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- person Uli Roth
- coronavirus Prostatakrebs
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