Unsere Sozialkontakte machen gesund – auch bei Krebs
Ein Gastbeitrag von Ulrike Scheuermann
Große Studien weisen zweifelsfrei nach: Die beiden wichtigsten Faktoren für Gesundheit und ein langes Leben sind soziale Faktoren. Die soziale Integration, also das Eingebundensein in eine Gemeinschaft, sowie nahe, stabile und unterstützende Kontakte, also unsere engen, verlässlichen Beziehungen. Erst nach diesen beiden wichtigsten Faktoren kommen andere Faktoren, die uns gesund erhalten, wie Nichtrauchen, wenig Alkohol, Sport, kein Übergewicht und saubere Luft1.
Als ich diesen Zusammenhang entdeckte, der in Wissenschaftskreisen ein Umdenken auslöste, wurde mir bewusst, wie wenig bekannt diese beeindruckende Wirkung sozialer Beziehungen in der Öffentlichkeit immer noch ist. Nachdem die Ergebnisse veröffentlicht wurden, folgten weitere Studien, in denen man Menschen befragte, welche Faktoren nach ihrer Einschätzung zu einem langen, gesunden Leben beitragen. Die sozialen Faktoren landeten weit hinten, auf Platz 9 und 11.
„Alle möglichen Arten von Gemeinschaft und Freundschaft erzeugen ein Kraftfeld gegen Krankheit und Tod“, schreibe ich in meinem gerade erschienenen Sachbuch „Freunde machen gesund – Die Nummer 1 für ein langes Leben: deine Sozialkontakte“ (Knaur Balance 2021). Neben großen Metastudien von Julianne Holt-Lunstad und ihrem Team gibt es viele weitere Einzelstudien, die die gesunderhaltende und -machende Wirkung nachweisen. So stellt der Psychologe Bert N. Uchino fest, dass Menschen, die wenig soziale Unterstützung bekommen, im Durchschnitt ein 2- bis 3-fach so hohes Sterberisiko haben wie Menschen mit viel Unterstützung.
Es gibt zudem viele Einzelstudien, die deutliche Zusammenhänge zwischen der sozialen Unterstützung und dem Verlauf einzelner Krankheiten wie Krebs oder auch z.B. HIV gefunden haben2.
Die Kraft der Sozialkontakte ist zum Beispiel ein wichtiger Grund dafür, dass sozial gut eingebundene Frauen mit Brustkrebs eine 4 Mal bessere Aussicht haben, ihre Krankheit zu überleben, als diejenigen, die nicht auf ein gutes soziales Netz zurückgreifen können3. Immer sind die emotionale Verbundenheit und das Vertrauen sowie die Öffnungsbereitschaft ausschlaggebend.
Aber warum ist das so? Der Hauptgrund liegt in der Natur von uns Menschen. Wir Menschen sind durch und durch soziale Wesen, und das prägt buchstäblich alles in unserem Leben. Die Social Baseline Theorie besagt, dass dieses Eingebundensein, diese soziale Nähe und Interaktion unser Standardmodus ist, auch, um unsere Emotionen zu regulieren, also starke negative Gefühle zu lösen. So fühlen wir uns normal.4 Wir sind ruhig und gelassen, wenn wir gut in unser Beziehungsnetz eingebunden sind. Wir fühlen uns gut aufgehoben und das senkt unseren Stresslevel: Gute Sozialkontakte hemmen so die Freisetzung von Stresshormonen, wirken angstlösend und sogar antidepressiv und selbstwertstärkend. Wenn wir sozial gut eingebunden sind, schlafen wir erholsamer, unser Immunsystem arbeitet besser und wir erholen uns eben auch schneller von Krankheiten.5
Denn umgekehrt sind soziale Isolation und Ablehnung große Quellen für Stress und beeinträchtigen die Gesundheit.
Natürlich gibt es auch ganz pragmatische Gründe, warum unsere Sozialkontakte buchstäblich unser Leben retten: in Notfällen ist jemand da, der den Krankenwagen ruft. Oder es kauft jemand ein und erledigt Dinge im Alltag, so dass genug Energie für den Heilungsprozess zur Verfügung steht.
Aber wir lesen und hören doch überall, dass Ernährung und Fitness so wichtig für die Gesundheit sind. Wie passt das zusammen? Man kann es so erklären: Unsere Sozialkontakte und unsere soziale Verbundenheit bilden die Basis, auf der alles andere erst aufbaut: Ernährung, Sport und Schlaf sind enorm wichtig, aber wer einsam ist, ernährt sich nachweislich schlechter und schläft auch schlechter. Sozial gut eingebunden schlafen wir tiefer, wir ernähren uns besser und sind aktiver. Zusammen kochen oder jedenfalls nicht allein essen führt dazu, dass wir uns gesünder ernähren und das gemeinsame Essen als entspannte soziale Zeit genießen können. Und Sport zu treiben oder sich zumindest zu körperlich zu bewegen gelingt oft leichter, wenn man es zusammen macht. Dann sind Menschen in der Regel motivierter und es macht oftmals auch einfach mehr Spaß.
Dabei können Sie darauf achten, dass die Qualität der Freundschaft in allen Ihren Sozialkontakten vorkommen kann: mit dem Partner, mit engen und entfernteren Freunden, mit Kollegen und anderen Arbeitskontakten bis hin zu Freundschaften in Gruppen. Entscheidend in Freundschaften ist Freude, Wärme und das Gefühl des Miteinanders. Freunde sind diejenigen, die unser Leben bereichern, die es bunt, lebendig und interessant machen, die da sind, wenn’s drauf ankommt, und mit denen Empathie, Vertrauen, Wertschätzung, Zuneigung und emotionale Nähe stattfindet. Freunde sind die, die uns helfen.
Welche Menschen in Ihrem Leben fallen Ihnen bei dieser Aufzählung ein? Oder wer könnte mit der Zeit eine Freundin, ein Freund werden?
Wir können gar nicht genug tun, um unsere Sozialkontakte und unser soziales Netz zu stärken und zu vertiefen. Es hilft dabei allen: uns selbst und anderen. Beziehung ist immer gegenseitig. Und das macht uns glücklich und gesund.
Ulrike Scheuermann ist Diplom-Psychologin und Bestsellerautorin. Sie hilft Menschen, ihr Leben sozial verbundener und damit gesünder zu gestalten. Mit ihren Büchern, Vorträgen und Medienauftritten vermittelt sie aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und wie jede und jeder sie für sich umsetzen kann. Nach ihrem Medizin- und Psychologiestudium hat sie den Berliner Krisendienst mit aufgebaut und dort zehn Jahre gearbeitet.
Ihre Seminare und Coachings finden in ihrer esencia-Akademie in Berlin und online statt.
Die Psychologin – Hilft: www.ulrike-scheuermann.de
Quellen
1 Julianne Holt-Lunstad, et al., 2010, 201
2 Uchino, 2004; Levy, et al., 1990; Ell, et al., 1992; Spiegel, et al., 1998
3 Kroenke, et al., 2006
4 Becker & Coan, 2011
5 Kurina, et al., 2011; Slavich, et al., 2010; Cohen, et al., 2003
Cohen, S., W.J. Doyle, R.N. Turner, C.M. Alper, D.P. Skoner. »Sociability and Susceptibility to the Common Cold«. Psychological Science 14, Nr. 5 (2003): 389-395.
Ell, K., R. Nishimoto, L. Mediansky, J. Mantell und M. Hamovitch. »Social Relations, Social Support and Survival Among Patients With Cancer«. Journal of Psychosomatic Research 36, Nr. 6 (1992): 531–41.
Holt-Lunstad, J., T.B. Smith, J.B. Layton. »Social Relationship and Mortality Risk: A Meta-Analytic Review«. Perspectives on Psychological Science 7, Nr. 7 (2010): 1-20.
Kroenke, C.H., L.D. Kubzansky, E.S. Schernhammer, M.D. Holmes und I. Kawachi. »Social Networks, Social Support, and Survival After Breast Cancer Diagnosis«. Journal of Clinical Oncology 24, Nr. 7 (2006): 1105–11.
Kurina, L.M., K.L. Knutson, L.C. Hawkley, J.T. Cacioppo, D.S. Lauderdale, C. Ober. »Loneliness Is Associated with Sleep Fragmentation in a Communal Society«. SLEEP 34, Nr. 1 (2011): 1519-1526.
Levy, S.M., R.B. Herberman, T. Whiteside, K. Sanzo, J. Lee und J. Kirkwood. »Perceived Social Support and Tumor Estrogen/ Progesterone Receptor Status as Predictors of Natural Killer Cell Cytotoxicity in Breast Cancer Patients«. Psychosomatic Medicine 52, Nr. 1 (1990): 73–85.
Slavich, G.M., B.M. Way, N.I. Eisenberger, S.E. Taylor. »Neural Sensitivity to Social Rejection is Associated with Inflammatory Responses to Social Stress«. Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA 107, Nr. 33 (2010): 14817-14822.
Spiegel, D., S.E. Sephton, A.I. Terr und D.P. Stites. »Effects of Psy- chosocial Treatment in Prolonging Cancer Survival May Be Me- diated by Neuroimmune Pathways«. Annals of the New York Aca- demy of Sciences 840, Nr. 1 (1998): 674–83. Uchino, B.N. Social Support and Physical Health: Understanding the Health Consequences of Relationships. New Haven: Yale University Press, 2004.
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Das neue Buch von Ulrike Scheuermann: „Freunde machen gesund – Die Nummer 1 für ein langes Leben: deine Sozialkontakte“
KNAUR BALANCE, Hardcover mit Schutzumschlag, 288 Seiten – im Buchhandel: 20,00 € – Auch als eBook.
ISBN 978-3-426-67611-0