Wenn der Partner schwer erkrankt
Ein Gastbeitrag von Ulrike Scheuermann
Auch die gesunde Person braucht Stärkung und Hilfe
Wenn in einer Partnerschaft eine Person schwer erkrankt, ist das für beide ein Schock und dementsprechend auch für beide eine große körperliche und emotionale Belastung, nicht nur für die erkrankte Person. Um langfristig bei Kräften zu bleiben und dem anderen wirklich zu helfen, braucht auch die gesunde Person Stärkung.
Durch eine schwere Krankheit steht die Paarbeziehung vor großen Veränderungen, denn die bisherigen Beziehungsmuster verändern sich. Vielleicht war die jetzt erkrankte Person diejenige, die besonders aktiv war, viel organisiert hat und sich eher um die andere gekümmert hat. Jetzt sind die Rollen plötzlich umgekehrt. Oder Nähe und Vertrauen entstanden über gemeinsame Aktivitäten, die jetzt nicht mehr möglich sind. Manchmal dominieren nun auch existenzielle Sorgen das partnerschaftliche Leben, nicht mehr ein ruhiges und gut eingespieltes Leben mit wenig Sorgen und mit lieb gewonnenen Gewohnheiten. Es geht darum, die veränderte Situation mit neuen Strategien zu meistern.
Ich habe in meiner früheren Arbeit im Berliner Krisendienst, aber auch bis heute bei meiner Tätigkeit als Psychologin, immer neu erlebt, dass die gesunde Person bei einer schweren Erkrankung des Partners, der Partnerin ebenfalls vor großen Herausforderungen steht – die jedoch leicht vergessen oder abgelehnt werden, vom sozialen Umfeld oder von dem Paar selbst. So entsteht oft viel verstecktes Leid. Deshalb ist es mir ein wichtiges Anliegen, beide Partner zu unterstützen und zu stärken und innere Verbote, rigide Sichtweisen und Denkmuster zu lockern. Das brauchen beide in der Beziehung dringend.
Gilt auch für Gesunde:
Die eigenen Kräfte sind begrenzt
In solch einer Situation denkt man zuerst einmal an die erkrankte Person. Ihr gelten die Empathie und Sorge, die tatkräftige und emotionale Unterstützung. Die gesunde Person engagiert sich, kümmert sich, informiert sich. Die Ernährung wird umgestellt, man vermittelt Zuversicht, Optimismus und Stärke. Dahinter steht auch die Hoffnung, dass durch diese Anstrengungen alles wieder gut werden wird. Doch diese Erwartung und der Anspruch, dies über lange Zeit durchzuhalten, ist in der Regel zu hoch. Man gibt mehr, als man eigentlich kann. Das geht eine Zeit lang, aber auf Dauer reichen die Kräfte dafür nicht. Man würde das nur noch schaffen, wenn man sich selbst verausgabt.
Und genau darin besteht eine große Gefahr. Denn dann sind irgendwann beide erschöpft und die Unterstützung wird möglicherweise zur Pflicht. Es kommt immer öfter vor, dass einer oder beide gereizt oder schuldbewusst reagieren, sich innerlich zurückziehen, mit einer Mischung unterschiedlichster Gefühle. Häufig entsteht inmitten all der Anstrengung und den besonderen Herausforderungen des Alltags immer mehr Distanz, die die Beziehung belastet, oft erst unbemerkt und untergründig.
Auch die emotionale Seite hat ihre Berechtigung:
Die Beziehung ist wichtig
Wenn jemand stirbt: Drei Wege für den Umgang mit Schicksalsschlägen
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Neben allem, was sich alltagspraktisch verändert, gibt es auch die emotionale Seite der Krankheitsbewältigung. Auch die gesunden Partner stehen vor einem Wust schwieriger und oft verwirrender Gefühle. Hier spielt vor allem die Angst vor dem Verlust des Partners eine Rolle, er oder sie könnte sterben, man würde allein zurückbleiben. Es gibt auch Angst, dass die Partnerschaft und das Leben sich grundlegend zum Negativen verändern. Manches kann man vielleicht nie mehr zusammen machen: Reisen, Sport, kulturelle Unternehmungen. Die finanzielle Situation kann große Angst machen. Oder Fragen wie: Wie soll ich das alles ohne ihn oder sie schaffen, wir haben doch bisher den Alltag gerade mal so gemeinsam bewältigt? Wer kümmert sich jetzt um den Papierkram, den bisher der andere erledigt hat?
Die Situation führt dem Gesunden zudem die eigene Verletzlichkeit und Möglichkeit das Krankwerdens vor Augen. Vorher waren vielleicht beide fit und aktiv. Nun ist man konfrontiert mit einer neuen Realität, die vermittelt: Bei jedem von uns, auch bei mir, kann morgen schon alles anders sein. Auch mir kann jeden Tag etwas zustoßen. Das ist zwar die Realität, mit der wir alle leben, doch normalerweise verdrängen wir das im Alltag.
Neben oder statt Angst können auch Frust oder Wut auftreten, zum Beispiel in folgender, typischer Situation: Die gesunde Person realisiert, dass sich, trotz aller Bemühungen, die Gesundheit des Partners weiter verschlechtert. Hat man darauf gesetzt, dass man selbst durch sein Verhalten und seine Hilfe eine Besserung erreichen könnte, so bedeutet das eine große Frustration, die wiederum erst recht zur Verausgabung und Erschöpfung führt. So entsteht auch häufig Wut – auf das Schicksal, auf die Krankheit oder sogar auf den Partner, oder eine Verbitterung.
Die Einsamkeit der Helfenden:
Der gesunde Partner bleibt häufig allein
Ich erlebe es in meiner Arbeit oft, dass die Partnerin, der Partner mit diesen schwierigen Emotionen allein bleibt, keine emotionale oder tatkräftige Unterstützung bekommt. Die Person selbst und andere erwarten, dass sie funktioniert, hilft und der oder dem Erkrankten voll und ganz beisteht. Die emotionalen Themen empfinden sie als störend – und unpassend. Sie denken: „Ich muss das alles schaffen, da kann ich mir kein Jammern und keine Schwäche erlauben“. Das kann bis zur Selbstaufgabe gehen. Die Person steht im Spannungsfeld von Helfen wollen und Hilfe benötigen und bleibt mit ihren eigenen Problemen und Bedürfnissen auf der Strecke.
Das schadet auf lange Sicht nicht nur der Person, sondern auch der Beziehung, denn jede emotionale Verhärtung zieht eine innere Distanz zur anderen Person nach sich. Es ist deshalb sehr wichtig, nicht nur an den anderen zu denken.
Was können Sie konkret tun?
Was können gesunde Partner tun, um bei Kräften zu bleiben, sich nicht vom Gegenüber emotional zu entfernen und dadurch auch umso besser der anderen Person helfen zu können?
Die eigenen Kraftgrenzen prüfen
Fragen Sie sich immer wieder, wie es gerade um Ihre emotionalen und körperlichen Kraftgrenzen steht. Wenn Sie Signale des Körpers erkennen, die Ihnen zeigen, dass eine Grenze erreicht ist, nehmen Sie diese unbedingt ernst. Schlafstörungen, mögliche körperliche Symptome wie Verdauungsprobleme, Kopf- oder Rückenschmerzen, emotionale Reaktionen wie Gereiztheit, ungewohnte Wut, häufiges Weinen und allgemein hohes Stress- und Angstniveau zeigen, dass die Grenzen bereits überschritten sind. Dann ist es endgültig Zeit, um innezuhalten. Und dann?
Selbstfürsorge in den Alltag einbauen
So schwer oder unmöglich es auch scheinen mag – sorgen Sie jetzt besonders gut für sich. Selbstfürsorge ist nicht egoistisch, sondern die Basis, um anderen wirklich helfen zu können. Auch kurze Momente der Besinnung auf sich sind enorm wirksam: drei Atemzüge lang auf den eigenen Atem achten, und das mehrmals am Tag. Mindestens eine weitere Person an jedem Tag kontaktieren, und sei es nur für ein Fünf-Minuten-Telefonat. Abends eine Viertelstunde Self-Care-Zeit einbauen, in der Sie mit sich sind, den Tag Revue passieren lassen und abschließen, zum Beispiel, indem Sie sich die schönen Momente vor Augen führen (die es immer gibt) und so vor dem Schlafen zur Ruhe kommen.
Sich von anderen helfen lassen
Damit nicht alle schwierigen Emotionen beim Partner oder bei der Partnerin landen, direkt oder indirekt, sollten Sie mit anderen gut in Kontakt bleiben. Informieren und aktivieren Sie Ihr gesamtes Netzwerk: Familie, Freunde, Nachbarn, Kollegen. Menschen helfen gerne, sie müssen nur wissen, dass – und wie – sie helfen können. Mit der einen sprechen Sie über ihre Ängste, Ihren Frust und andere schwierige Gefühle; mit einem anderen reden sie über praktische Dinge, weil er auch eine kranke Partnerin unterstützt; mit einer dritten Person reden Sie über finanzielle Fragen und die neu auftauchende Möglichkeit, dass sie vielleicht irgendwann allein leben werden. Mit wiederum jemand anderem können Sie sich zu Spaziergängen ohne viel Reden verabreden, um von den Sorgen zu pausieren.
Mit dem Partner über die Gefühle sprechen
Das gegenseitige Mitteilen der eigenen Gefühle ist DIE Basis, um weiterhin gut miteinander in Kontakt zu sein und – oder sogar mehr als sonst – als ein Team zusammen zu sein. Wenn Sie von Ihren Ängsten und anderen Emotionen erzählen, entsteht mehr Verstehen und gegenseitige Zuneigung und Nähe. Sie zeigen damit dem erkrankten Partner auch, dass es nicht nur um ihn geht. Das kann den anderen auch entlasten, der oder die Erkrankte kann ihr eigenes Leiden relativieren und sich womöglich innerlich stärker fühlen, denn sie ist nicht nur in der Rolle des kranken Opfers, sondern spendet ebenfalls Trost, motiviert, bleibt optimistisch, wenn die gesunde Person das gerade nicht kann. Wichtig: Das muss nicht das stundenlange, anstrengende Gespräch sein. Oft sind es nur ein paar Minuten, ein paar Mal pro Woche, die eine im Alltag irgendwie eingeschlafene Nähe, Zuneigung und Liebe wieder aktivieren.
Professionelle und Selbsthilfeangebote in Anspruch nehmen
Psychosoziale Beratungsstellen, eine Krisenberatung oder die Telefonseelsorge, bei hoher Belastung auch eine Kurzzeittherapie bieten psychologische, alltagspraktische und seelische Unterstützung. Ebenso Selbsthilfegruppen, in denen sich Angehörige von Schwerkranken treffen und austauschen. Sie bekommen wertvolle Informationen, erfahren, dass andere ähnliche Probleme wie Sie haben und können sich durch den Zusammenhalt und das gegenseitige Mitgefühl von dem sonstigen Dauerstress entlasten und auch außerhalb des Zuhauses einen Ort der Ruhe und des Aufgehobenseins finden.
Denken Sie also immer daran, dass die Notlage des anderen automatisch auch die eigene Notlage ist, wenn man in einer Partnerschaft eng miteinander verbunden ist. Hilfe für den anderen und Hilfe für sich selbst sollten im Gleichgewicht bleiben. Achten Sie darauf, dass Sie bei Kräften bleiben, körperlich und emotional. Eine gute Self Care – Selbstfürsorge – ist die Basis, um gut für andere zu sorgen. Ich wünsche Ihnen viel Glück und Kraft dafür.
Ulrike Scheuermann ist Diplom-Psychologin und Bestsellerautorin. Sie hilft Menschen, ihr Leben sozial verbundener und damit gesünder zu gestalten. Mit ihren Büchern, Vorträgen und Medienauftritten vermittelt sie aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und wie jede und jeder sie für sich umsetzen kann. Nach ihrem Medizin- und Psychologiestudium hat sie den Berliner Krisendienst mit aufgebaut und dort zehn Jahre gearbeitet.
Ihre Seminare und Coachings finden in ihrer esencia-Akademie in Berlin und online statt.
Die Psychologin – Hilft: www.ulrike-scheuermann.de
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Self Care – Du bist wertvoll: Das Selbstfürsorge-Programm.
Hörbuch bei Argon 2019: 4 CD’s | Sprecherinnen: Ulrike Scheuermann (Texte) & Ulrike Hübschmann (Übungen): 19,95 €